Ohne Gentechnik geht nichts
Zur Person: Daniel Schümperli ist Professor für Entwicklungsbiologie an der Universität Bern. Neben seiner Lehrtätigkeit in Molekular-, Zell- und Entwicklungsbiologie erforscht seine Gruppe den genauen Mechanismus, wie eine Zelle aus der abgelesenen Gen-Information ein Protein herstellt. Bereits zu Beginn seiner Lehrtätigkeit in Bern vor neun Jahren gab er Seminare zur Rolle der Ethik in der Biologie. Damit will er - wie er sagt - die Fähigkeit von Studierenden fördern, ethische Aspekte in ihre Forscheralltag einzubeziehen. Seit sieben Jahren ist er Mitglied der Kommission für biologische Sicherheit sowie des Forums Gen-Forschung der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften. Als SP-Mitglied arbeitet er in der Kommission für Wissenschaft, Forschung und Technolo-gie der SP-Bundeshausfraktion und war Mitautor des Gegenvorschlags zur Gen-Schutz-Initiative, welche von den Eidg. Räten aber verworfen wurde.
BT: Sie sind Gen-Forscher und gleichzeitig Mitglied einer Partei, deren Vorstand die Gen-Schutz-Initiative be-fürwortet. Fühlt man sich da nicht gespalten?
Schümperli: Natürlich bin ich hier in einem Spannungsfeld. Den Entscheid des SP-Vorstandes halte ich klar für falsch. Andererseits halte ich mich durchaus für einen Wissenschaftler, welcher die Gentechnologie nicht unkri-tisch betrachtet. In diesem Gebiet darf auch der Wissenschaftler nicht nur wissenschaftlich argumentieren. Politi-sche und gesellschaftliche Aspekte muss man berücksichtigen.
BT: Was können Sie konkret denn nicht mehr tun, wenn die Gen-Schutz-Initiative angenommen wird?
Schümperli: Aus unserer Forschung hat sich die Möglichkeit einer Gen-Therapie ergeben, welche wir jetzt seit zweieinhalb Jahren mit Hilfe von Zellkulturen untersuchen. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, wo wir mit genetisch veränderten Mäusen arbeiten müssen. Das wäre gemäss Initiative verboten und das vielversprechende Projekt müsste abgebrochen werden.
BT: Die Gen-Schutz-Initianten argumentieren aber, dass durch die Gentechnologie in der Forschung generell falsche Akzente gesetzt werden. Sollte sich die medizinische Forschung nicht von ihrer Gen-Fixiertheit lösen?
Schümperli: Die Gentechnologie hat der Medizin, in der Grundlagenforschung und auch in der ökologischen Forschung grosse Fortschritte gebracht hat und wird auch weiterhin zu solchen beitragen. Das kann man einfach nicht bestreiten. Ohne Gentechnologie läuft in diesen Gebieten nichts mehr. Ich halte es aber durchaus für richtig, dass man über die Prioritäten in der Forschung diskutiert.
BT: Können Sie als Wissenschaftler überhaupt damit leben, dass Laien Ihnen sagen, wo Sie nicht forschen dür-fen?
Schümperli: Ja und Nein. Es kommt vor allem darauf an, wie eine solche Kontrolle ausgeübt wird. Grundsätzlich bin ich aber der Ansicht, dass in der Gesellschaft ein Konsens gefunden werden muss, wie die Forschung ausge-richtet sein soll. Die Wissenschaft muss lernen, dies zu akzeptieren.
BT: Was passiert dabei mit der Forschungsfreiheit?
Schümperli: Die absolute Forschungsfreiheit ist eine Illusion. So wie Wissenschaft heute funktioniert, bestimmen eine Reihe von Faktoren, was erforscht wird: Neue Methoden kommen auf und verleiten zu neuen Projekten, vorhandene oder fehlende Ressourcen bestimmen die Ziele oder auch der Glaube eines Forschers, dass ein be-stimmtes Projekt seiner Karriere förderlich ist.
BT: Sind es nicht oft auch die Ziele der Wirtschaft?
Schümperli: In der Grundlagenforschung ist dies nicht so. Wirtschaftliche Interessen können aber Trends einlei-ten, etwa dass mehr angewandte Forschung betrieben werden soll. Die Industrie gibt aber keine Direktiven, wo die Universität forschen soll. Sie haben schliesslich auch ihre eigenen Labors.
BT: Aber gibt es nicht gerade in der Gentechnologie den Lockruf des Geldes?
Schümperli: Wahrscheinlich ist es nicht in erster Linie das Geld. Jeder Wissenschaftler freut sich, ein Produkt seiner Forschung - quasi sein Kind - in der Anwendung zu sehen.
BT: Zurück zur Forschungsfreiheit: Gibt es absolute Grenzen, welche in der Gentechnologie respektiert werden müssen?
Schümperli: Eine klare Grenze betrifft genetische Änderungen beim Menschen. Dies ist nicht akzeptabel. Ich bin froh, dass dies auch unsere Bundesverfassung verbietet.
BT: Doch haben Sie nicht den Eindruck, dass die ethischen Grenzen parallel zum wissenschaftlichen Fortschritt verschoben werden? Plötzlich ist erlaubt, was früher verboten war?
Schümperli: Ethik ist nichts ewig feststehendes. In der menschlichen Geschichte gab es zwar Perioden, wo sich nur wenig änderte und dies erweckte die Illusion einer ewig geltenden Ethik. Heutzutage verändert sich die Le-bensbedingungen rasch und die Ethik muss darauf reagieren. Ethik hat die Funktion, uns zu helfen, sich in einer komplexen Umgebung orientieren zu können. Auch die Ethik ist einer Evolution unterworfen.
BT: Wenn wir jetzt von der Evolution im Allgemeinen sprechen: Gewinnt der Mensch durch die Gentechnologie nicht eine neue Macht über diese?
Schümperli: Das ist nichts neues. Seitdem der Mensch in die Natur eingreift, bestimmt er die Bedingungen der Evolution mit. Ich glaube nicht, dass durch die Gentechnologie eine neue Qualität dieses Eingriffs entstanden ist.
BT: Wenn nun aber das Geschehen in der Natur gewissermassen durch die "Gen-Brille" betrachtet wird, leistet dies nicht einen Beitrag zur Entzauberung der Natur?
Schümperli: Für mich besteht der grosse Zauber darin, zu verstehen, wie etwas funktioniert. Ich bin von jeder neuen Erkenntnis über die Natur begeistert. Die Probleme beginnen erst dort, wenn sich diese "genetische Fixie-rung" auf die Gesellschaft auswirkt, etwa wenn Menschen wegen ihrer Gene diskriminiert werden. Hier muss man sehr aufmerksam sein und mit Gesetzen klare Schranken setzen.