Kann sich Qualität vor Regionalinteressen durchsetzen?
Die Auswahl der ersten acht bis zehn Nationalen Forschungsschwerpunkte ist in der Endphase. Regionalpolitik soll dabei keine Rolle spielen.
Die Nationalen Forschungsschwerpunkte (NFS) sind das neue Prestigeprojekt der Schweizer Forschungsförderung. Gut 114 Millionen Franken sollen allein in den nächsten drei Jahren an Schweizer Forscher verteilt werden. Die Konkurrenz um die Gelder ist entsprechend hart: Als die NFS durch den Schweizerischen Nationalfonds im Januar 1999 ausgeschrieben wurden, haben 230 verschiedene Projektgruppen ihr Interesse angemeldet. 34 schafften es in die Endausmarchung und werden derzeit weiter gesiebt. Lediglich acht bis zehn NFS werden dann ab 2001 finanzielle Unterstützung erhalten. Die Endauswahl treffen im Herbst die Bundesräte Ruth Dreifuss und Pascal Couchepin basierend auf einem Vorschlag von Charles Kleiber, Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung. Dieser meint: „In diesem Entscheid werden rein politische Kriterien wie die ausgewogene Verteilung zwischen den Sprachregionen keine Rolle spielen, lediglich die Qualität des Projektes zählt.“
Diese These lässt sich beispielsweise an den zwei im Rennen verbliebenen NFS aus dem Bereich Neurowissenschaften testen: Die institutionellen Zentren der beiden Projekte – das Institut für Neuroinformatik und das Institut für Hirnforschung – sind nur ein Stockwerk voneinander entfernt – und erst noch in Zürich. Vom Standpunkt eines auf föderalen Ausgleich bedachten Politikers ist bereits dieser Sachverhalt das Todesurteil für mindestens eines der Projekte – auch wenn Sie sonst nichts gemeinsam haben.
Tatsächlich repräsentieren die beiden NFS-Projekte „Kommunikation und Berechnung in neuralen und neuromorphen Systemen“ sowie „Neurale Plastizität und Regeneration“ zwei grundsätzlich verschiedene Fragestellungen in den Neurowissenschaften. Das Projekt des Instituts für Hirnforschung fokussuiert medizinische Anwendungen. „Wir erhoffen uns Fortschritte in den Bereichen Epilepsie, Multible Sklerose und Querschnittlähmung“, erklärt Martin Schwab, Professor am Institut für Hirnforschung in Zürich. Eine andere Vision erläutert Rodney Douglas, Professor am Institut für Neuroinformatik: „Erkenntnisse über die Informationsverarbeitung in biologischen Systemen werden den Weg zu neuen, bisher unbekannten technischen Anwendungen frei machen.“
Die Argumente ob nun beide, nur eins oder gar keins der beiden in der Endausmarchung stehenden Projekte die begehrten Gelder bekommen wird, sollen also nicht aus dem Hexenkessel föderaler Empfindlichkeiten gefischt werden. Seit der Lancierung der NFS haben die Verantwortlichen immer wieder versichert, derartige Überlegungen nicht berücksichtigen zu wollen. „Das wissenschaftliche Potenzial der Projekte und nicht die Erforschung „korrekter Themen“ oder die Verteilung in den Sprachregionen zählen“, hält dazu Urs Christ, beim Schweizerischen Nationalfonds zuständig für die NFS, fest. Und Kleiber doppelt nach, er habe „keine Probleme“ damit, dass beispielsweise drei NFS in Zürich und gar keines in Genf angesiedelt werden könnten.
Der Nationalfonds reagiert damit auf die Kritik an den sogenannten Swiss Priority Programs (SPP), dem Vorläufer der NFS. Die SPP wurden der Schweizer Forschungslandschaft von oben aufgepfropft: Die Einbindung der Forscher in die Themensetzung sowie die institutionelle Verankerung waren mangelhaft, wie der Schweizerische Nationalfonds in einem Bericht zur Reform der SPP festhält. Die Auswahl der NFS ist nun in einem offenen Wettbewerb zwischen den Wissenschaftlern erfolgt.
„Die Nationalen Forschungsschwerpunkte bilden einen essenziellen Teil bei der Anpassung der Schweizerischen Hochschullandschaft an die Erfordernisse der Zeit“, erläutert Kleiber. Massnahmen für den Wissenstransfer in die Praxis, die Aufbrechung der disziplinären Grenzen und die Rückkopplung der Forschung mit der Lehre sind Bedingungen, denen sich die NFS-Projekte stellen müssen. Wichtig ist aber auch die finanzielle Einbindung der institutionellen und privatwirtschaftlichen Partner der einzelnen Projekte.
So bleibt noch die Frage zu beantworten, inwiefern ein Forschungsförderungsinstrument Sinn macht, das von den einzelnen Projektgruppen einen derart grossen Aufwand verlangt – und damit Forschungskapazität bindet –, bei dem letztlich aber nur wenige zum Zug kommen. Beat Vonlanthen, Vizedirektor der Gruppe für Wissenschaft und Forschung, meint: „Will man das Wettbewerbsprinzip einführen, so ist das der Preis, den man zahlen muss.“