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Grenzen für Hirnbilder

Immer ausgeklügelter werden die bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung. Ethiker wünschen deshalb eine Debatte über die Probleme, welche eine unkritische Anwendung dieser Technologie mit sich bringen kann.

„Auf keinen Fall“ würde Judy Illes von der Universität Stanford in Kalifornien, eine der weltweit führenden Neuroethikerinnen, ihre Kinder einem routinemässigen MRI-Screening unterziehen, um Aussagen über künftig mögliche Verhaltensanomalien zu gewinnen. Sie betrachtet einen möglichen Wunschtraum des Neuro-Imaging – die Diagnostizierung von sozialer Abnormität mittels Hirnbilder – mit kritischen Augen. Illes meint: „Unterschiedliches Verhalten von Menschen ist Ausdruck von Vielfalt in der Gesellschaft. Eine Biologisierung solcher Verhaltensweisen kann zu einem Trend zur Standardisierung führen, den ich ablehne.“

Das Problem ist nur, dass die enormen Fortschritte im Bereich der Bildgebung durchaus den Wunsch von Grundlagenforschern wie Anwendern wecken, mehr über „biologische Grundlagen“ von menschlichem Verhalten zu erfahren. Über Jahrzehnte standen den Forschern und Klinikern lediglich das Röntgenbild und das EEG zur Verfügung, um einen Blick ins Hirn zu werfen, ohne den Patienten zu schädigen. Ab den 1970ern kamen dann aber sukzessive weitere Verfahren dazu: die computerassistierte Röntgentomographie (CT), die Positron¬emissionstomographie (PET und SPECT), das Magnetresonanz-Imaging (MRI), das funktionelle MRI und optische Verfahren wie die Nahinfrarotspektrophotometrie (NIRS). VORSCHLAG: GRAFIK WELCHE DIE FUNKTIONSWEISE DIESER VERFAHREN ZEIGT. Mit diesem Arsenal an Methoden werden im Rahmen der kognitiven Neurowissenschaften vermehrt komplexe Phänomene des menschlichen Seelenlebens Gegenstand der Hirnforschung. Eine Imaging-gestützte Hirnforschung soll die Mechanismen des Lernens, des Gefühlslebens, der Entscheidungsfindung und des moralischen Handelns entschlüsseln. Ein Beispiel ist die Suche nach neuen Lügendetektoren (vgl. mit Interview).

Was tun bei kritischen Befunden?

Es erstaunt nicht, dass derartige Ambitionen skeptische Fragen wecken. Die Neuroethik hat sich der Aufgabe verschrieben, die mit der Hirnforschung einhergehenden ethischen Fragen zu erkennen und zu diskutieren. Auch in der Schweiz werden interdisziplinäre Fragen rund um die Hirnforschung untersucht. Morgen erscheint eine vom Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung initiierte Studie, welche ethische und rechtliche Probleme der bildgebenden Verfahren auflistet und dabei im wesentlichen den Stand der internationalen Diskussion zusammenfasst. Zwei Kernaussagen lassen sich ableiten: Zum einen fallen die meisten derzeit virulenten ethischen Probleme des Imaging in klassische bioethische Problembereiche. Es geht um den Umgang mit Versuchspersonen und mit den gewonnen Daten. So muss insbesondere geklärt werden, wie mit kritischen Befunden umgegangen werden soll, die im Rahmen des Experimentes durch Imaging auftauchen können – also beispielsweise Hinweise auf einen Hirntumor. Grosse Anforderungen stellt zudem der Umgang mit Imaging-Daten, welche weit komplexer sind als beispielsweise genetische Daten. So muss nicht nur das Bild, sondern es müssen auch alle Details des Experiments abgespeichert werden, damit Imaging-Daten korrekt beurteilt werden können. Noch fehlen diesbezüglich standardisierte Verfahren, was den Aufbau internationaler Imaging-Datenbanken erschwert. Schliesslich stellen sich in der Bildgebung auch Sicherheitsfragen, wenngleich diese Verfahren als vergleichsweise risikoarm gelten. Bisher (Ende 2005) wurden weltweit weit über 100 Millionen MRI und fMRI Untersuchungen durchgeführt, wobei bisher 14 Todesfälle (vorab wegen Herzschrittmachern, die inaktiviert wurden) und gegen 100 Verletzte (z.B. wegen unentdeckter Metallsplitter in den Augen) registriert wurden.

Zum anderen warnen die Autoren der Studie vor überzogenen Erwartungen, welche mit Imaging verbunden werden könnten – also etwa die Idee, man könne damit eine Form des „Gedankenlesens“ erreichen. In der Öffentlichkeit aber fänden die vielfältigen methodischen Schwierigkeiten des Imaging zu wenig Beachtung, so die Autoren. Vor allem fMRI braucht umfangreiche Statistik, um die nur sehr geringen in den Experimenten gemessenen Signalunterschiede, analysieren zu können. Die farbenprächtigen Bilder, welche der medialen Propagierung des Imaging natürlich förderlich sind, können leicht zu Fehlinterpretationen verleiten – vor allem, wenn diese von Laien beurteilt werden. Da aber beispielsweise in Gerichts¬prozessen in den USA Hirnbilder bereits Anwendung finden, stellen sich durchaus ethische Fragen, die über die eigentliche Forschung hinausgehen.

„Unkontrolliertes, euphorisches Vorgehen!“

Aber auch Fachleute sind zuweilen skeptisch hinsichtlich des Imaging-getriebenen Booms in den kognitiven Neurowissenschaften. Anton Valavanis, Vorsteher des Instituts für Neuroradiologie des UniversitätsSpitals Zürich, bezweifelt gar bei vielen Forschenden, die Imaging anwenden, deren methodische Kompetenz. Gestützt wird diese Aussage von einer derzeit an seinem Institut laufenden Studie, welche alle im Zeitraum 2001-2004 publizierten Imaging-Studien auswertet. Vorläufige Resultate lassen darauf schliessen, dass in rund 60 Prozent aller Abbildungen von fMRI-Messungen inkorrekte oder ungenaue anatomische Bezeichnungen zu finden sind. Valavanis kritisiert zudem, dass in vielen Studien die Anatomie und funktionalen Eigenschaften des Gefäss-Systems (beispielsweise die Dichte von Blutgefässen in bestimmten Regionen und die Änderungen des Blutdrucks im Verlauf von Experimenten – alles Faktoren, welche die Messungen beeinträchtigen können) nicht berücksichtigt würden, was die Aussagekraft der Resultate weiter vermindere. Valavanis befürchtet, dass gerade in den kognitiven Neurowissenschaften, wo neuronale Grundlagen komplexer menschlicher Verhaltensweisen mittels Imaging ermittelt werden sollen, sich viele Forschende den methodischen Problemen des Imaging nicht bewusst seien. "Neben gut konzipierten und selbstkritischen Anwendungen des Neuroimaging, beobachte ich ein unkontrolliertes, euphorisches Vorgehen", meint Valavanis.

Welche Art von Kontrolle diesem Problem angemessen ist, bleibt aber eine offene Frage. Derzeit existieren in den einzelnen Instituten unterschiedliche Regelungen. Das Autorenteam der TA-SWISS Studie fordert deshalb, dass auch die Hirnforschung an gesunden Versuchspersonen in der Schweiz einheitlich geregelt werden solle und verweist dabei auf das Humanforschungsgesetz (HFG). In der derzeitigen Fassung, die sich in der Vernehmlassung befindet, deckt das HFG aber nur die Forschung im Gesundheitsbereich ab. Andrea Arz de Falco, HFG-Projektleiterin im Bundesamt für Gesundheit, hält auf Anfrage fest, dass Forschung im Bereich der kognitiven Neurowissenschaften an gesunden Probanden eher nicht in den Geltungsbereich des Gesetzes gemäss des vorliegenden Entwurfs falle.

Für Judy Illes hingegen sind gesetzgeberische Eingriffe letzte Wahl, da diese meist zu lange dauern und den praktischen Problemen nicht angemessen seien. „Ich setzte auf Selbstregulation innerhalb der beteiligten Berufsgruppen. Wir müssen die Fachleute aus den Bereichen Neurowissenschaft, Recht, Wirtschaft etc. zusammenbringen, damit ein Bewusstsein dieser Probleme überhaupt einmal entsteht. Wir sollten durch Ausbildung und Verhaltensregeln in Form freiwilliger Vereinbarungen dafür sorgen, dass diese Technologien verantwortlich umgesetzt werden“, so Illes. Die zentrale Aufgabe sei, „dass wir eine genügende Kapazität an Leuten und Ressourcen aufbauen, um mit den kommenden Problemen umgehen zu können.“


„Keine Lügendetektoren einsetzen“

Im Jahr 2002 ist der Begriff „Neuroethik“ gleich mit einer ganzen Serie von Konferenzen ins öffentliche Bewusstsein gedrängt. Eine der Speerspitzen dieser Bewegung war das Stanford Center for Biomedical Ethics, wo Judy Illes als Direktorin des Neuroethik-Programmes wirkt. Die Forschungen von Illes befassen sich mit den vielfältigen ethischen Problemen der modernen Neurowissenschaft, vorab in den Bereichen Bildgebung und des „neural enhancement“, der Suche nach Substanzen und Verfahren zur „Verbesserung“ der Hirnleistung. Sie sieht die Rolle der Ethik nicht als jene einer „Polizei“ welche Verbote durchsetzen soll. Ethik sollte vielmehr dafür sorgen, dass Umstände geschaffen werden, in denen anerkannte Forschung auf verantwortliche Weise betrieben werden kann.

Werden es bildgebende Verfahren dereinst ermöglichen, auffälliges soziales Verhalten zu diagnostizieren?

Ich denke, dass dies durchaus einmal der Fall sein kann. Ich hoffe, dass wir zu diesem Zeitpunkt auch ein klares ethisches Bewusstsein haben, wie mit solchen Untersuchungen umgegangen werden soll. Sicher wird es aber Leute geben, die von dieser Technik derart fasziniert sind, dass sie diese auch nutzen werden. Bereits heute werden ja in den USA und anderswo in einer Reihe von Zentren MRI-Scans von Gehirnen und gar ganzen Körpern angeboten. Die Nutzung dieser Technik hat aber nach einer ersten Euphorie tendenziell abgenommen.

Wird die Bildgebung angesichts der mit dieser Technik verbundenen methodologischen Probleme nicht überbewertet? Die Bilder mögen ja suggestiv sein, doch bildgebende Verfahren allein werden kaum das Gehirn erklären können.

Die Methodik der Bildgebung ist zwar komplex, aber nicht grundsätzlich problematisch. Gewiss sind die Herstellung wie auch die Interpretation solcher Bilder nicht einfach und sollte den Fachleuten überlassen werden. Ein zentraler Punkt ist dabei die individuelle Variabilität der Gehirne, welche durch die bildgebenden Verfahren deutlich werden. Dies ist eine wichtige Einschränkung der Aussagekraft solcher Bilder, da Unterschiede zwischen den Aktivierungsmustern verschiedener Personen keine eindeutige Interpretation haben.

Doch in Gerichtsprozessen werden Hirnbilder (PET-Scans) bereits verwendet, um etwa die Unzurechnungsfähigkeit eines Angeklagten zu beweisen…

Dies ist in der Tat der Fall. Ich denke nicht, dass man verhindern kann, dass Anwälte diese Technik für die Verteidigung ihrer Klienten verwenden. Im Bereich der Lügendetektoren zeichnet sich derzeit ja ein eigentlicher Boom ab. Derzeit werden grosse Ressourcen investiert, um via Bildgebung eine neue Form von Detektoren zu erhalten. Als mögliche Abnehmer solcher Geräte werden Untersuchungsbehörden, Sicherheitsfirmen und Flughäfen genannt.

Halten Sie denn den Einsatz solcher Geräte für gerechtfertigt?

Lügen ist ein komplexer Prozess. Lügendetektoren können vielleicht herausfinden, ob jemand lügt – über den Inhalt der Lüge hingegen können wir nichts erfahren. Dies ist eine zentrale Einschränkung. Lügendetektoren via Bildgebung können auch nicht zwischen guten und schlechten Lügnern, pathologischen Lügnern oder Gelegenheitslügnern unterscheiden. Der ganze Kontext, in welchem eine Lüge entsteht, fällt ausserhalb der Reichweite solcher Apparate. Doch was macht man, wenn man nun jemanden positiv auf eine Lüge testet? Wie finden wir heraus, in welche Kategorie jemand fällt und welche Bedeutung diese Lüge wirklich hat? Sollten wir etwa auch die Opfer einem Test unterziehen, weil Studien ja zeigen, dass solche Personen ein „falsches Gedächtnis“ haben können? Was machen wir, wenn sich jemand weigert? Da diese Probleme ungelöst sind, sollte meines Erachtens die Lügendetektor-Technologie zum jetzigen Zeitpunkt nicht angewendet werden.

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