Enhancement – Überlegungen zu einem Leitbegriff der Leistungsgesellschaft
Das Ideal der menschlichen Verbesserung und Vervollkommnung begleitet die Menschheit seit Anbeginn. Heute dominiert das Enhancement die Debatte rund um die Bestrebungen zur Erweiterung der menschlichen Möglichkeiten und Steigerung menschlicher Leistungsfähigkeit durch technologische Mittel – entsprechend den Sehnsüchten einer Leistungsgesellschaft. Dieser Leitbegriff hochtechnisierter Gesellschaften soll im Folgenden hinsichtlich Mitteln, Zielen und Abgrenzungsproblemen dargestellt werden.
Im Fokus der heutigen Debatte um das Ideal der menschlichen Vervollkommnung stehen Interventionen in den Körper des Menschen selbst, die diesen direkt verändern und damit «verbessern» sollen. Es lassen sich dabei drei Typen unterscheiden:
Der erste, derzeit am meisten diskutierte ist eine Leistungsverbesserung durch biochemische Wirkstoffe. Diese Form des Enhancement blickt auf eine lange Geschichte zurück, indem z. B. gewisse Drogen seit vielen Jahrhunderten in rituellen Handlungen verwendet werden, um «höhere Bewusstseinszustände» zu erreichen. Heute geht es meist um psychopharmakologische Wirkstoffe, die für ein sogenanntes Neuro-Enhancement eingesetzt werden, also direkt auf das Gehirn einwirken sollen. Ebenfalls in diesen Kontext gehört das Doping zur Steigerung der physischen Leistungsfähigkeit, das meist deutlich stärker problematisiert wird als das Neuro-Enhancement.
Beim zweiten Typus handelt es sich um die Veränderung des menschlichen Genoms durch somatische und Keimbahn-Interventionen. Diese Variante ist in der Tat neu, denn die entsprechenden technischen Mittel stehen erst seit jüngster Zeit zur Verfügung. Die Wurzeln dieser Art des Enhancement liegen im medizinisch-therapeutischen Bereich. Ernsthafte Versuche beim Menschen zu einem gentechnischen Enhancement ausserhalb therapeutischer Nutzungen bei schweren Krankheiten werden heute – im Unterschied zum pharmakologischen Enhancement – nicht unternommen. Genetische Verfahren zur Selektion «geeigneter» Embryonen (etwa bei der Präimplantationsdiagnostik) werden in der Regel nicht als Enhancement bezeichnet, auch wenn sie natürlich ebenfalls ethische Fragen aufwerfen.
Ein dritter Typ betrifft die Nutzung der Informationstechnologie. Diese baut auf einem kulturellen Fundament auf, das für die hochtechnologischen Gesellschaften unserer Zeit prägend ist: der Kybernetik (selbsttätige Regelungs- und Steuerungsvorgänge). Mit der Auffassung von Leben als kybernetische Organismen verschwimmt die Grenze zwischen Mensch und Maschine und wird eine Integration von Informationstechnologie in den Körper – etwa in Form von Prothesen – als natürlich empfunden. Auf diesem Nährboden entstand der Cyborg, ein technologischer «Übermensch» mit Fähigkeiten, welche die eines normalen Menschen bei weitem übersteigen. Angesichts des rasanten Fortschritts digitaler Technologien gewinnt auch die Debatte rund um ein solches informationstechnisches Enhancement an Fahrt.
Ziele des Enhancement
Der Wunsch nach menschlicher Vervollkommnung ist heute eingebunden in ein gesellschaftliches Klima, das individuelle Leistung und Wettbewerb stark positiv besetzt. Dementsprechend bestehen auch Anreize, Enhancement-Möglichkeiten zu erforschen oder gar an sich selbst anzuwenden. Man kann auch bezüglich der Ziele drei Typen unterscheiden, die nachfolgend kurz vorgestellt werden.
Einen ersten Bereich bildet das Bestreben nach einer Lebensverlängerung, das einen lang andauernden kulturgeschichtlichen Hintergrund hat. Die natürliche Lebensspanne des Menschen – Forscher schätzten sie kürzlich auf etwa 125 Jahre (Nature 2016; doi:10.1038/nature19793) – soll erheblich ausgeweitet werden.
Der zweite und grösste Bereich umfasst die Verbesserung bestehender Begabungen des Menschen. Im Vordergrund stehen kognitive Fähigkeiten wie Gedächtnis oder Aufmerksamkeit, aber auch Kreativität, emotionale Offenheit oder gar moralische Kompetenzen. Letztere, das sogenannte Moral Enhancement, wurden von Protagonisten wie Julian Savulescu und Ingmar Persson geradezu als moralische Plicht bezeichnet, damit der Mensch seine enormen technischen Möglichkeiten nicht zur Zerstörung des Planeten einsetzt.
In einem dritten Bereich geht es darum, dem Menschen Fähigkeiten zu verleihen, die er bisher nicht hatte: eine Erweiterung der optischen (z. B. mit Infrarot) und akustischen Wahrnehmung (z. B. mit Ultraschall), neue Sinne, z. B. einen Magnetsinn, oder – für militärische Anwendungen interessant – eine Resistenz gegen chemische Kampfstoffe. Für all das bestehen zwar in etlichen Fällen bereits technische Lösungen – das Neue besteht nun darin, dass man diese zu einem Teil des menschlichen Körpers machen will, wie das z. B. beim Cyborg der Fall ist. Dieser geht auf den Mediziner Nathan Kline und den Ingenieur Manfred Clynes zurück, die Anfang der 1960er Jahre die Idee präsentierten, einem Astronauten alle lebenswichtigen Systeme zu implantieren, damit er im Weltraum würde überleben können.
Es steht ausser Zweifel, dass sich bei diesen Beispielen zahlreiche ethische Fragen stellen: forschungsethische, Fragen hinsichtlich Sicherheit und Nebenwirkungen der angewendeten Verfahren, zu den sozialen Auswirkungen gewisser Formen von Enhancement, philosophische Fragen hinsichtlich des Menschenbilds usw. Dieser Beitrag tritt darauf nicht ein, da es hier lediglich darum geht, die zurzeit zur Diskussion stehenden Möglichkeiten von Enhancement darzustellen.
Abgrenzungsfragen
Ein erstes, oft diskutiertes Abgrenzungsproblem betrifft die Unterscheidung zwischen Therapie und Enhancement: Wann dient eine Intervention primär der Wiederherstellung menschlicher Fähigkeiten, wann deren Verbesserung? Bei den Zielen «Neue Fähigkeiten» und «Lebensverlängerung» lassen sich Therapie und Enhancement vergleichsweise gut unterscheiden. Da aber viele der heute diskutierten Enhancement-Massnahmen bestehende Fähigkeiten betreffen und die meisten der dazu bestehenden Mittel de facto aus therapeutischen Erwägungen entwickelt wurden, ergibt sich dennoch ein Abgrenzungsproblem.
Es erscheint heute beispielsweise deutlich einfacher (z. B. einer Ethik-Kommission gegenüber), Forschung mit einer therapeutischen Zielsetzung zu rechtfertigen als mit einer Verbesserung menschlicher Fähigkeiten. Doch woran bemisst sich der «natürliche» Schwellenwert einer Fähigkeit, und wie stabil ist dieser im Zeitverlauf? Wir wissen beispielsweise, dass sich der mit psychologischen Methoden erfassbare Intelligenzquotient verändert hat. In den vergangenen hundert Jahren stieg der Durchschnittswert von 100 auf 130. Ein Eingriff zur Erhöhung der Intelligenz wäre heute vielleicht Therapie, vor hundert Jahren aber noch ein Enhancement. Würde man ein Enhancement bestimmter Fähigkeiten praktizieren, würde dadurch der statistische Normwert heraufgesetzt und könnten in der Folge Interventionen bei «unterdurchschnittlich» Begabten als Therapie begründet werden.
Ein zweites Abgrenzungsproblem betrifft das Begriffspaar «künstlich» - «natürlich». Obgleich in der Philosophie der Begriff der «Natürlichkeit» oft kritisch gesehen wird, ist dessen intuitive Kraft unbestritten: Menschen unterscheiden zwischen «künstlichen» Maschinen und Werkzeugen und dem Natürlichen, Gewachsenen – und oft wünschen sie sich Letzteres (man denke nur etwa an die Nahrungsmittelwerbung).
Andererseits können Prothesen (und z. B. bei Blinden auch der Blindenstock) in das Körperbild integriert werden – und fehlt vielen Menschen heutzutage schon etwas Essenzielles, wenn sie ihr Smartphone nicht bei sich haben. Gerade bei technologischen Mitteln des Enhancement dürfte diese intuitive Grenze sich weiter aufweichen, wenn Technologie gleichsam mit dem Körper verzahnt ist und dereinst auch Eigenschaften von Lebendigem besitzt (z. B. Wachstum oder die Fähigkeit zur Selbstreparatur). So ist zu vermuten, dass die Akzeptanz des Enhancement im heutigen Sinne zunehmen wird, je stärker sich diese Grenze verwischt. Ob dies auch für dessen ethische Legitimität gilt, ist eine andere Frage.