Neues Leben schaffen – ein Traum mit Hindernissen
Die Synthetische Biologie ist derzeit wohl der herausforderndste Zweig einer neu aufkommenden Richtung in der biologischen Forschung. Zunehmend wird unter dem Stichwort Systembiologie versucht, sämtliche in Zellen und Organismen laufenden biologischen Prozesse in einer Gesamtschau zu erfassen. Die Synthetische Biologie will dann dieses Wissen nutzen und auf die absolut essenzielle Basis reduzieren, um (Mikro-)Organismen für klar definierte Zwecke möglichst einfach herzustellen. „Thema im Fokus“ stellt Ursprünge, Ziele und Probleme dieses neuen Forschungsgebiets vor.
Im heutigen Forschungsbetrieb hat fast jede Disziplin ihre publikumswirksame Speerspitze. In der Synthetischen Biologie ist dies Craig Venter, der in den 1990er Jahren als private Konkurrenz zum Human Genome Project die Sequenzierung des menschlichen Genoms vorangetrieben und wesentlich dazu beigetragen hatte, dass 2001 vor der Weltpresse die Entschlüsselung des Erbguts bekannt gegeben werden konnte. Ein Jahr später verkündete Venter, er wolle nun „neues Leben“ schaffen, eine einzellige Lebensform mit einer minimalen Anzahl Genen, die komplett im Labor zusammengebaut werden solle. Er gründete 2005 die Firma Synthetic Genomics, welche heute – passend zum Zeitgeist – Organismen als Beitrag zur Lösung der Klima- und Energiefrage synthetisieren will. Zu Beginn dieses Jahres verkündete Venter dann, er habe ein ganzes Genom eines Lebewesens (das Bakterium Mycoplasma genitalium) in Hefezellen nachbauen können – gewissermassen ein erster kleiner Schritt in Richtung eines künstlichen Lebewesens.
Biologie als Informationswissenschaft
Solche Meldungen erwecken natürlich Aufsehen – und das ist wohl ihr Zweck –, sie verstellen aber auch den Blick auf die umfassenderen Entwicklungen, welche die biologische Forschung in den vergangenen Jahren stark umgestaltet haben. Gespielt wird mit der Reizvorstellung „Leben schaffen“ – eine Metapher mit reicher kultureller Geschichte, die sofort gleichermassen Faszination und Widerspruch weckt. Doch eine Orientierung an dieser Vorstellung des „molekularbiologischen Frankenstein“ reicht nicht aus, um die gegenwärtige Umgestaltung des forschenden Zugangs zu Lebewesen zu verstehen.
Spannt man den (historischen) Blick über mehrere Jahrzehnte, so sind die Veränderungen gewaltig. Die Biologie hat sich von der Tradition des Sammelns und Klassifizierens von Leben, welche sie über Jahrhunderte geprägt hat, weitgehend verabschiedet. Der Evolutionsgedanke, die wohl bedeutendste theoretische Idee in der Biologie, ist mit zahlreichen weiteren Konzepten aus anderen Disziplinen wie Chemie, Physik und Ingenieurwissenschaften ergänzt worden. „Biologie ist eine Informationswissenschaft“, meinte beispielsweise der amerikanische Biowissenschaftler Leroy Hood vor einigen Jahren. In diesem kurzen Satz kommt der neue Blick auf das Leben exemplarisch zum Ausdruck. Synthetische Biologie – verstanden als Versuch, bislang nicht vorkommende lebende Systeme im Labor zu „bauen“ – ist hier nur ein fast logisch erscheinender, weiterer Schritt in einer grösseren Entwicklung.
Die disziplinären Konturen dieser Entwicklung werden heute langsam sichtbar. Seit einigen Jahren werden unter dem Überbegriff Systembiologie jene Ansätze der biologischen Forschung zusammengefasst, welche die Vorgänge in Zellen und Organismen mittels hochentwickelter Technologie integral untersuchen wollen. Beispielsweise sollen nicht einzelne Gene und deren Funktion, sondern das Wechselspiel ganzer Gen-Netzwerke innerhalb einer Zelle verstanden werden (vgl. dazu auch das Interview mit Ruedi Aebersold). Ein solches Wissen ist Voraussetzung dafür, dass Synthetische Biologie überhaupt Ergebnisse bringen kann.
Verschiedene Institute beschäftigen sich weltweit mit Systembiologie – auch in der Schweiz läuft eine entsprechende Initiative unter dem Namen Systems X.ch, für die der Bundesrat im vergangenen Jahr 100 Millionen Franken gesprochen hat (zusammen mit weiteren 100 Millionen für die Basler Zweigstelle des Systembiologie-Instituts der ETH Zürich).
Inspiration aus unterschiedlichen Traditionen
Systembiologie und Synthetische Biologie nähren sich aus anderen wissenschaftlichen Traditionen, die in den letzten Jahren zusammengefunden haben: Zu nennen ist (natürlich nebst der Molekularbiologie und Genetik) insbesondere die Bioinformatik und die Forschung im Bereich „Artificial Life“ (ALife).
Bioinformatik, ein in den 1990er Jahren stark gewachsenes Gebiet, untersucht die Nutzung der Informatik im Umgang mit Daten, die vorab durch die Molekularbiologie und Genetik gewonnen wurden (also Speicherung, Darstellung und Durchsuche von Informationen). Ursprünglich als Hilfswissenschaft für die rasch voranschreitenden Gensequenzierer verstanden, hat die Bioinformatik wesentlich dazu beigetragen, dass Computersimulationen von Lebensvorgängen wie z.B. Stoffwechselkreisläufe oder Regulierung von Genen heute eine zentrale Methode der Systembiologie geworden sind.
Im Bereich „ALife“ vereinigten sich Forscher mit dem Ziel, Lebensvorgänge gewissermassen abstrakt zu definieren und im Computer simulieren zu lassen (manche AL-Vertreter halten auch solche Programme für eine „Lebensform“). Dieser Ansatz lässt sich mindestens bis zu John von Neumann, einem Wegbereiter des modernen Computers, zurückverfolgen und hat sich ab Ende der 1980er Jahre im Zug der entstehenden Komplexitätsforschung weiter entwickelt. ALife liefert heute vor allem Simulationstechniken für bestimmte Forschungsgebiete innerhalb der Synthetischen Biologie. Heutige Vertreter der Synthetischen Biologie wie der ETH-Biotechnologe Sven Panke betonen denn auch den technischen Charakter dieser neuen Wissenschaft: „Biotechnologie muss man wie eine echte Ingenieurwissenschaft betreiben.“ Man bräuchte also eine Trennung von Design und Herstellung sowie standardisierte Schnittstellen zwischen den Komponenten, den so genannten Biobricks eines „lebenden Systems“.
So weit ist man natürlich noch nicht und es ist auch im Kreis der Forschenden unklar, inwieweit sich dieses technische Denken überhaupt auf lebende Systeme übertragen lässt. Dennoch sind in den vergangenen Jahren in den Medien einige Beispiele „designter“ Mikroorganismen (vorwiegend Bakterien und Hefezellen) aufgetaucht, bei denen nicht nur einzelne Gene eingefügt wurden, sondern auch komplexere Regulationssysteme verändert und zum Funktionieren gebracht wurden. Dies gelang z.B. einem jungen Forscherteam der ETH Zürich, das 2005 mit einem „rechnenden Bakterium“ einen Wettbewerb der US-amerikanischen Hochschule MIT gewann. Das Bakterium wurde derart verändert, dass es ein Lichtsignal und ein chemisches Signal gewissermassen „addieren“ kann, indem es ein grün fluoreszierendes Protein herstellt. Tritt nur eines der beiden Signale auf (egal welches), wird ein rotes Protein hergestellt.
Fragen und Probleme der Synthetischen Biologie
Solche Resultate wirken jetzt noch wie eine Spielerei. Sie weisen aber darauf hin, dass künftig Organismen via Synthetische Biologie hergestellt werden könnten, welche für Zwecke erschliessbar sind, die der heutigen Gentechnologie noch verschlossen sind. Ein mögliches Beispiel wäre ein Bakterium, das effizient Wasserstoff produzieren könnte. Solche Möglichkeiten sind mit zahlreichen wissenschaftlichen und ethischen Fragen verbunden, wobei die ethischen Fragen in der synthetischen Biologie deutlicher hervortreten. Sie sind Gegen¬stand des nachfolgenden Kommentars, so dass hier nur eine Übersicht über die wichtigsten wissenschaftlichen Fragen gegeben wird:
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Komplexität: Um ganze Netzwerke von Komponenten und deren Zusammenwirken in Zellen und Organismen zu rekonstruieren, sind enormen Datenmengen nötig. Grundsätzlich sind drei Arten von Daten für die Forscher zugänglich (Nurse 2003): Gen¬sequenzen, Interaktions-Daten (z.B. von zwei Proteinen während eines Stoffwechselprozesses) und funktionelle Daten (z.B. was passiert in einer Zelle, wenn ein bestimmtes Protein blockiert wird). Diese Komplexität sachgerecht abzubilden ist die grosse Herausforderung der Systembiologie.
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Standardisierung: Die Art der Datengewinnung wie auch die derzeit verwendeten Modelle sind in der Systembiologie sehr unterschiedlich und kontextabhängig (Cassman 2005). Die Standardisierung in diesem Bereich ist zwar ein technisch lösbares Problem, wird aber erfahrungsgemäss oft vernachlässigt und könnte den Fortschritt in der Systembiologie künftig entscheidend bremsen. Die Synthetische Biologie sucht zusätzlich noch nach einer Standardisierung der Biobricks genannten Komponenten künftiger künstlicher Organismen.
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Vorsorge-Forschung: Wie bereits in der klassischen Gentechnik stellt sich auch in der Synthetischen Biologie das Problem der Auswirkungen von Freisetzungen (siehe ethischer Kommentar), sollten dereinst synthetische Organismen zur Verfügung stehen. Entsprechend könnte gefordert werden, dass in solchen Organismen ein „Sicherheits-Schalter“ (z.B. ein Selbstzerstörungs-Mechanismus) eingebaut wird (Church 2005), was dann auch entsprechend erforscht werden müsste.
Diese Übersicht ist gewiss unvollständig und macht deutlich, dass Systembiologie und auch die Synthetische Biologie noch primär der Grundlagenforschung dienen. Dennoch ist es sinnvoll, jetzt bereits zu untersuchen, welche Chancen und Risiken die Möglichkeiten der Systembiologie eröffnen.