Die sozialpolitischen Auswirkungen des NFA – Effizienzgewinn oder Sparverlust?
15 Jahre Arbeit erforderte die Reform des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen. Von den 33 von der Reform betroffenen Aufgaben fallen vier direkt in den Bereich der Sozialpolitik. Durch die Neugestaltung der Aufgabenzuteilung und Umleitung der Finanzströme erhofft man sich verbesserte Leistungen bei vergleichbaren Kosten – Kritiker hingegen befürchten, dass damit Sparmassnahmen auf Kosten behinderter Menschen vereinfacht werden.
Mit dem Neuen Finanzausgleich (NFA) werden zwei Hauptziele angestrebt: der Ausgleich kantonaler Unterschiede hinsichtlich Finanzierungskraft und die Steigerung der Effizienz hinsichtlich der Erfüllung von Staatsaufgaben. Um diese Ziele zu erreichen, setzt das Reformvorhaben NFA an zwei Hebeln an: zum einen bei den Finanzen (Ressourcenausgleich, Lastenausgleich), zum anderen bei den Aufgaben (Entflechtung der Aufgaben, neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen, interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich).
Die Entwicklung dieser Instrumente erstreckte sich über beinahe 15 Jahre. Zu Beginn der 1990er Jahre verfasste die Eidgenössische Finanzverwaltung mehrere Berichte, welche die Probleme des damaligen Finanzausgleichssystems darlegten – was später dann von den kantonalen Finanzdirektoren und externen Experten bestätigt wurde. Auf dieser Grundlage setzte der Bundesrat im Juni 1994 eine Projektorganisation für das Grossvorhaben „Neuer Finanzausgleich“ ein. Drei Meilensteine kennzeichnen den Fortgang dieses Projektes:
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In einem ersten Schritt wurden 2003 die Verfassungsgrundlagen und das neue Bundesgesetz über den Finanz- und Lastenausgleich geschaffen. Die neuen Verfassungsnormen wurden an der Volksabstimmung vom 28. November 2004 mit einer Mehrheit von 64,4 Prozent der Stimmenden und von 20.5 Ständen angenommen.
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In einem zweiten Schritt haben die eidgenössischen Räte in der Herbstsession 2006 die Ausführungsgesetzgebung verabschiedet. Im Einzelnen sind 30 Bundesgesetze revidiert sowie drei Bundesgesetze neu erlassen beziehungsweise total revidiert worden.
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In einem dritten und letzten Schritt hat das Parlament anlässlich der Sommersession 2007 über die Dotierung der neuen Ausgleichsgefässe entschieden. Dabei wurde auch festgehalten, welche Kantone wie viel in den gemeinsamen Topf zu bezahlen haben bzw. daraus erhalten werden.
Ressourcen- und Lastenausgleich
Zwei Kernelemente des NFA, welche die bisherigen Ausgleichssysteme ablösen, sind der neue Ressourcen- und der Lastenausgleich. Insgesamt betrifft das die Umverteilung von jährlich 3,74 Milliarden Franken zwischen Bund und Kantonen. Über den Ressourcenausgleich soll sichergestellt werden, dass auch die ressourcenschwachen Kantone über genügend frei verfügbare finanzielle Mittel verfügen, um die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Das soll den Kantonen einen Anreiz geben, die Mittel sinnvoll anzulegen. Der Ressourcenausgleich basiert auf einer neuen Methode zur Erfassung der finanziellen Ressourcen- bzw. Steuerpotenziale der Kantone. Anhand eines Ressourcenindexes werden die Kantone in ressourcenstarke und ressourcenschwache Kantone eingeteilt. Ressourcenschwache Kantone erhalten von den ressourcenstarken Kantonen (horizontaler Ressourcenausgleich) und vom Bund (vertikaler Ressourcenausgleich) zweckfreie finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Der Steuerwettbewerb soll damit nicht tangiert werden.
Der Lastenausgleich des Bundes soll unverschuldete und unbeeinflussbare Strukturlasten der Kantone abgelten – etwa aufgrund der geografischen Lage (z.B. höhere Infrastrukturkosten in Bergkantonen) oder soziodemographischer Parameter (z.B. hoher Anteil an städtischer Bevölkerung). Zu diesem Zweck stehen zwei neue Lastenausgleichsgefässe – der geografisch-topografische und der soziodemografische Lastenausgleich – zur Verfügung.
Entflechtung der Aufgaben
Mit dieser Neugestaltung der Finanzströme geht auch eine Neuzuteilung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen einher, welche insgesamt 33 Bereiche betrifft. Als Grundsatz der Aufgabenzuweisung dient das Subsidiaritätsprinzip. Danach soll die übergeordnete staatliche Ebene (Bund) nur diejenigen Aufgaben übernehmen, welche die untergeordnete Ebene (Kantone) nicht aus eigener Kraft erfüllen kann. Im Rahmen der Finanzierungsentflechtung entfallen die zweckgebundenen Subventionen sowie die finanzkraftabhängigen Zuschläge. Im Gegenzug bekommen die Kantone über die neuen Instrumente des Finanzausgleichs im engeren Sinn mehr freie Mittel zur Verfügung gestellt. So können die Kantone selber bestimmen, nach welchen Prioritäten sie die Mittel einsetzen wollen. Die Aufteilung sieht wie folgt aus:
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Zehn Aufgabenbereiche fallen neu vollständig unter die die Verantwortung der Kantone. Dies betrifft unter anderem den Bereich Nationalstrassen, indem der Bund neu Eigentümer der Autobahnen wird.
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Sieben Aufgabenbereiche werden neu vollständig in die Verantwortung des Bundes übertragen. Die Kantone übernehmen ab 2008 die integrale Verantwortung namentlich bei den Behindertenwohnheimen, Werkstätten und Sonderschulen.
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Insgesamt 16 Aufgabenbereiche werden als Verbundaufgaben eingestuft. Bei diesen Aufgaben liegt die strategische Führung beim Bund, während die Kantone die operative Verantwortung übernehmen. Ein Beispiel für eine Verbundaufgabe ist der Natur- und Heimatschutz.
Die interkantonale Zusammenarbeit in neun Aufgabenbereichen wird zudem auf neue verfassungsgemässe und gesetzliche Grundlagen gestellt. In diesen neun Aufgabenbereichen kann das Bundesparlament auf Antrag beteiligter Kantone eine interkantonale Vereinbarung allgemein verbindlich erklären oder einen Kanton zum Beitritt verpflichten. Der interkantonale Lastenausgleich sorgt dafür, dass auch in den kantonsübergreifenden Aufgabenbereichen die Nutzniesser zur Finanzierung beitragen müssen.
Auswirkungen auf den Sozialbereich
Im Zuge der NFA-bedingten Verfassungsreform sind zwei Artikel der Bundesverfassung (Art 62 Abs. 3 und Art 112a, 112b, 112c) angepasst worden, welche direkte Auswirkungen auf die Sozialpolitik haben. Diese Änderungen an der Bundesverfassung führten auch zu Änderungen oder Neuschaffung von Gesetzen. Namentlich das Bundesgesetz über die Institutionen zur Förderung der Eingliederung von invaliden Personen (IFEG) wurde neu geschaffen, wobei es neu den Kantonen obliegt, die Integration behinderter Menschen zu fördern. Insgesamt erwachsen den Kantonen aus diesen sozialpolitischen Anpassungen (gemäss den von 2002 zugrunde liegenden Zahlen) Mehrbelastungen von über zwei Milliarden Franken. Änderungen erfolgen in vier sozialpolitischen Bereichen:
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Bau- und Betriebserträge an Wohnheime, Werkstätten und Tagesstätten für behinderte Menschen (2002: 1’149 Mio. Franken Mehrbelastung für die Kantone): Hier zieht sich die IV aus der (kollektiven) Mitfinanzierung von Bau und Betrieb der Institutionen für behinderte Menschen zurück, sie kommt aber weiterhin für individuelle Eingliederungsmassnahmen auf. Die Kantone haben den Verfassungsauftrag, die ihnen übertragenen Aufgaben der IV zu übernehmen.
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Sonderschulung (2002: 731 Mio. Franken Mehrbelastung für die Kantone): Hier zieht sich die IV aus der Mitfinanzierung der individuellen und kollektiven Leistungen zurück – ein Betrag, der zuvor rund die Hälfte der Gesamtaufwendungen im Sonderschulbereich ausmachte. Diese Anpassung erfolgte explizit vor dem Hintergrund, dass damit die Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen in die Regelschule gefördert werden sollte. Gesetzlich sind die Kantone weiterhin verpflichtet, für behinderte Menschen eine Grundschulung zu gewährleisten, die deren besonderen Bedürfnissen angemessen ist. Während mindestens drei Jahren müssen die Kantone weiterhin die bisherigen Leistungen der IV übernehmen. Ab 2011 gilt dann voraussichtlich ein neues kantonales Recht (sofern ein solches Gesetz bis zu diesem Zeitpunkt vorliegt – ansonsten müssen die betroffenen Kantone weiterhin die Leistungen der IV ausrichten).
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Ergänzungsleistungen für AHV und IV (2002: 227 Mio. Franken Mehrbelastung für den Bund): In diesem Bereich wird die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen neu geregelt. Dies führt zu einer Netto-Umverteilung der Kosten zu Lasten des Bundes. Beide Parteien erhalten den Leistungsauftrag, den Existenzbedarf von Bezügerinnen und Bezügern von AHV und IV zu decken, wobei 5/8 der Kosten des allgemeinen Existenzbedarfs vom Bund getragen werden. Ergänzungsleistungen zur Deckung zusätzlicher Heimkosten sowie der Krankheits- und Behinderungskosten gehen neu vollständig zu Lasten der Kantone.
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Unterstützung der Betagtenhilfe inkl. Pflege zu Hause (2002: 173 Mio. Franken Mehrbelastung für die Kantone): Auch in diesem Bereich wird die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen neu geregelt, was zu einer Netto-Umverteilung der Kosten zu Lasten der Kantone führt. Insbesondere werden neu kantonale und kommunale Tätigkeiten wie Krankenpflege, Hauspflege und Haushaltshilfe durch die Kantone unterstützt. Die Kantone müssen so lange den alten Finanzierungsbedarf decken, bis eine kantonale Gesetzgebung vorliegt, welche diesen Bereich neu regelt.
Insgesamt wird also deutlich, dass in diesen sozialpolitischen Bereichen vorab die Kantone neue Aufgaben und deren Finanzierung übernehmen. Es ist demnach zu erwarten, dass die Umsetzung des institutionellen Angebots für Menschen mit Behinderung administrativ aufwendiger und weniger übersichtlich sein wird. Andererseits bietet die Kantonalisierung auch die Chance, Verbesserungen im Sozialbereich rascher und direkter anzugehen. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit einer Umlagerung der Kosten zu Lasten Invalider. Die verfassungsmässig und gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen gegenüber behinderten Menschen haben sich im Inhalt zwar nicht verändert, doch erst die Praxis der kommenden Jahre wird zeigen, wer von der angestrebten Effizienz wirklich profitieren wird.