Der Kampf um den freien Zugang zu Gen-Daten hat begonnen
Diesen Frühling dürfte das menschliche Erbgut vollständig entschlüsselt sein. Der Kampf um diese Gendaten kommt jetzt in die heisse Phase: Wissenschaftler wie Politiker setzen sich dafür ein, dass der Zugang zu diesen Daten für alle frei ist. Damit stellt sich die Frage der Abgrenzung von wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessen neu.
„Das menschliche Erbgut muss für die gesamte Menschheit frei zugänglich sein.“ Mit dieser Forderung haben sich jüngst Bruce Albert und Sir Aaron Klug, die Präsidenten der amerikanischen Akademie der Wissenschaften und der britischen Royal Society und damit zwei gewichtige Stimmen des internationalen Wissenschaftsbetriebs an die Öffentlichkeit gewandt. Sie gehen damit noch weiter als die bereits vor einer Woche abgegebenen Erklärung von US-Präsident Bill Clinton und dem britische Premierminister Tony Blair. Diese begrüssten die Bemühungen der Forscher, genetische Rohdaten über das menschliche Erbgut öffentlich zugänglich zu machen. Die Patentierung von Genen lehnten sie aber nicht ab.
Bruce Albert und Aaron Klug hingegen wenden sich auch gegen diese derzeit geradezu exzessive Praxis der Patentierung jedes noch so kleinen Gen-Schnipsels: „Heutzutage ist es trivial, neue Gene und einige damit verbundene biochemische Funktionen in sequenziertem Erbgut zu identifizieren. Unserer Ansicht nach sollte eine solche Entdeckung deshalb nicht mit einem Patent belohnt werden,“ schreiben Sie in ihrer Erklärung, welche in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature“ veröffentlicht wurde. Damit zieht erstmals angesehene wissenschaftliche Institutionen eine klare Grenze zwischen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen.
Nicht genannt wird in beiden Erklärungen die eigentliche Ursache dieser Diskussion: Die US-Biotechfirma Celrea. Der Privatforscher Craig Venter – Inhaber des Unternehmens Celera Genomics Corporation – hat zuu Beginn dieses Jahres angekündigt, in diesem Sommer eine Datenbank mit der gesamten menschlichen Erbinformation zu veröffentlichen. Noch 1998 hatte er zwar vor dem US-Kongress bestätigt, dass diese Daten öffentlich zugänglich sein werden und er mit der National Library of Medecine zusammenarbeiten werde. Im Februar erfolgte aber eine wichtige Einschränkung: Akademische Forscher dürften zwar diese Daten (die Rohdaten der Sequenzierungsmaschinen von Celera) einsehen, aber nicht weiter verwenden – beispielsweise indem diese in die GenBio-Datenbank eingebaut werden.
Damit bröckelt ein Konsens, welcher im Manhatten-Projekt der Genomforschung – die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts – bisher unbestritten war: Der freie Zugang aller Wissenschaftler zu diesen Daten. Im Human Genom Projekt – die drei Milliarden Dollar schwere vollständige Sequenzierung des menschlichen Ergbuts – sollte dieses Prinzip mustergültig umgesetzt werden: Weltweit haben sich die Wissenschaftler abgesprochen, wer welche Teile des Erbguts entschlüsseln soll. Die gewonnenen Daten werden dann in grosse Datenbanken vereint, die allen akademischen Forschern offen stehen sollen – beispielsweise in „GenBank“, der Datenbank der amerikanischen National Library of Medicine. Ursprünglich hätte das Projekt erst im Jahr 2005 vollendet werden sollen. Jetzt wird aber bereits im Mai dieses Jahres eine sogenannte „Arbeitsfassung“ der gesamten menschlichen Erbinformation vorliegen, um der Celera-Ankündigung zuvorzukommen.
„Die akademische Forschergemeinschaft ist beunruhigt, denn Celera unterminiert die öffentlichen Gensequenzierungs-Projekte, indem Sie Vorteile aus diesen zielt, ohne Gegenrecht zu gewähren“, kommentiert Victor Jongeneel vom Schweizerischen Institut für Bioinformatik (SIB) diese Entwicklung. Celerea profitiert deshalb von den öffentlich zugänglichen Daten, weil sie diese dazu benutzen kann, die Qualität der eigenen Daten zu verbessern (siehe Kasten). Umgekehrt wird dies offenbar nicht möglich sein – eine Befürchung, welche auch das Wissenschaftsmagazin „Nature“ in seiner jüngsten Aussage nennt. Die Celera-Datenbank wird deshalb hoch interessant, denn sie wird in den kommenden Jahren die beste Informationsquelle dafür sein, um die biologische Bedeutung des sequenzierten menschlichen Erbguts ermitteln zu können. Der Zugang zu dieser „kommentierten Datenbank“ wird jährlich dann zwischen 5000 und 20'000 Dollar kosten.
Jongeneel meint dazu: „Diese Absichten kontrastieren stark mit unseren: SWISS-PROT, die weltweit führende Protein-Datenbank des SIB, will weiterhin freien Zugang für akademische Forscher gewähren – wenn die Finanzierung gesichert werden kann. Unser Ziel ist es, zu überleben – Celera sucht natürlich den Profit.“ SWISS-PROT-Daten sind Universitäten frei zugänglich, lediglich Biotech-Unternehmen bezahlen für die Benutzung dieser Datenbank.
Im Grenzbereich „Gene – Proteine“ wird denn auch künftig die neue Linie zwischen wissenschaftlichen und kommerziellen Interessen gezogen: Die genetischen Daten allein sind für das Verständnis von Lebewesen und die Entwicklung von Medikamenten in keiner Weise ausreichend. Die Entschlüsselung des Erbguts bedeutet eigentlich nur, dass man die Buchstaben im „Buch des Lebens“ kennt. Die neue Herausforderung für die moderne Biologie ist das Proteom-Projekt. Dabei geht es darum, Erkenntnisse über alle Proteine, welche das Erbgut eines Lebewesens produziert (den Proteom), zu gewinnen. Weiss man über den Proteom Bescheid, so kennt man auch die Sprache, in der das Buch geschrieben ist.
Bruce Alberts und Aaron Klug haben dies in ihrem Aufruf deutlich gemacht: „Das Wissen über das menschliche Erbgut ist lediglich der erste Schritt. Der nächste wird sein zu verstehen, wie die zehntausende von Genen des Erbguts derart zusammenarbeiten, dass daraus die Maschinerie unseres Körpers entsteht.“ Dieser Erkenntisprozess dürfe nicht durch die Behinderung des Zugangs zu Gen-Daten verhindert werden. Die neue Schlacht um Patente dürfte dann in der Proteomik geschlagen werden.
So macht Celera die besseren Daten
Die unterschiedlichen Bedingungen des Zugangs zu den Gendaten von Celera und des öffentlichen Human Genom Projekts erlauben es Celera, seine Daten auf Kosten der Öffentlichkeit zu verbessern. Der Grund ist der folgende: Sequenzierungs-Automaten haben eine Fehlerrate von einem bis fünf Prozent. Damit die Entschlüsselung einer DNA-Sequenz die gewünschte Fehlerrate von 0,01 Prozent (d.h. einer von 10'000 „Buchstaben“ der Sequenz ist im Durchschnitt falsch), müssen die gleichen Abschnitte mehrfach entschlüsselt werden. Als Optimum gilt die sogenannte Tiefe von 10X (d.h. die gleiche Sequenz wurde zehn Mal entschlüsselt). Die Celera-Daten haben aber nur eine Tiefe von 4X. Die öffentlich zugänglichen Daten wiederum haben bisher eine Tiefe von 5X. Celera kann nun die öffentlichen Daten mit den Eigenen vergleichen und damit nahezu optimale Daten generieren – umgekehrt wird das aber nach den Vorstellungen von Craigh Venter nicht erlaubt sein. Die öffentlich zugänglichen Daten werden eine ähnliche Qualität erst im Jahr 2003 erreicht haben.