Hirnforscher vereint
Ehrgeizige Ziele setzen sich die Wissenschaftler des neuen nationalen Forschungsschwerpunktes (NFS) „Neuronale Plastizität und Reparatur“ der Universität Zürich. Unter anderem soll die Forschung in Multipler Sklerose intensiviert werden.
Hirnerkrankungen an ihrer Wurzel zu bekämpfen, ist ein schwieriges Unterfangen. Die kürzlich abgebrochenen Versuche zur Alzheimer-Impfuung haben dies einmal mehr deutlich gezeigt. Das überaus komplexe Organ des menschlichen Geistes lässt sich nur sehr schwer verstehen und entsprechend schwierig gestaltet sich die Suche nach wirksamen Therapien gegen Hirnkrankheiten wie Parkinson, Alzheimer, Multiple Sklerose oder Chorea Huntington, an welchen in der Schweiz schätzungsweise 230'000 Menschen leiden.
Hirnforscherinnen und Hirnforscher müssen deshalb ihre Kräfte bündeln. Am kürzlich stattgefundenen, ersten Symposium des nationalen Forschungsschwerpunktes (NFS) „Neuronale Plastizität und Reparatur“ in Warth/TG wurde diese Zusammenarbeit sichtbar. Der Grossteil der gut 120 Wissenschaftler des NFS war anwesend. Martin Schwab, einer der Leiter des neuen NFS, sieht in der Notwendigkeit der Kooperation einen Hauptgrund, warum es überhaupt zu diesem neuen Forschungsschwerpunkt gekommen ist: „Neurologie ist heute zum grössten Teil eine diagnostische Disziplin: Wir können Krankheiten erkennen, aber nicht heilen.“ Um dies zu ändern, arbeiten hochkarätige Wissenschaftlerteams aus der ganzen Schweiz im neuen NFS zusammen. Kennzeichnend für den Forschungsschwerpunkt ist die enge Zusammenarbeit zwischen Grundlagenforschern und Klinikern, denn neue Therapien sollen am Ende der Forscherbemühungen stehen.
Der hauptsächlich in Zürich angesiedelte NFS „Neurale Plastizität und Reparatur“ ist einer von 14 nationalen Forschungsschwerpunkten, welche im vergangenen Jahr ihre Arbeit be¬gannen. Dieses neue Instrument des Bundes zur Förderung der Wissenschaft in der Schweiz soll insbesondere langfristiges Forschen ermöglichen. Die Schwerpunkte sind auf zehn Jahre angelegt und vernetzen Forschergruppen verschiedener Hochschulen.
Acht Projekte bilden derzeit den Kern des NFS „Neuronale Plastizität und Reparatur“. Die Themen sind: Stammzellen, neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer, Hirnschlag, Epilepsie, Multiple Sklerose, Infektionen des Gehirns, Heilung von Rückenmarksverletzungen und Weiterentwicklung von bildgebenden Verfahren wie MRI (Kernspinresonanztomographie). Die Finanzmittel des NFS wurden aber nicht alle verplant. Reserven wurden für die Finanzierung vielversprechender Projekte in Gebieten angelegt, welche durch den NFS nicht abgedeckt werden, im Verlauf der Forschung aber lanciert werden könnten.
Zudem werden in Zürich drei „Experten-Zentren“ aufgebaut, welche den Forscherinnen und Forschern Dienstleistungen zur Verfügung stellen. So sollen Methoden der genetischen Analyse wie auch die Bioinformatik weiter entwickelt und den verschiedenen Forschergruppen zur Verfügung gestellt werden. Neue Wege werden auch in der Verhaltensforschung beschritten. Die Gruppe um Hans-Peter Lipp stellte in Warth den „Intellicage“ vor, ein High-Tech-Käfig der die dauernde Beobachtung ganzer Mäusegruppen ermöglicht – eine sonst sehr arbeitsintensive Tätigkeit. „Intellicage“ stösst bei den Verhaltensbiologen weltweit auf Interesse und soll künftig vermarktet werden.
MS-Forschung verstärken
Im Rahmen des NFS entsteht auch Forschungskompetenz in Gebieten, welche in der Schweiz bisher kaum erforscht werden. Prominentestes Beispiel ist die MS-Forschung, welche im Rahmen des Schwerpunktes auch von privater Seite unterstützt wird: Der Pharmakonzern Serono sponsert mit einer Million Franken jährlich zwei Forschergruppen für Multiple Sklerose. Die beiden neuen Assistenzprofessuren sollen in den nächsten Monaten besetzt werden. Schwab ist über dieses Projekt besonders erfreut: „Der Vertrag mit Serono ist ein wirklicher Sponsorvertrag, der uns die akademische Freiheit lässt. Gegenleistungen wie Auftragsforschung werden keine erwartet.“ An der Universitätsklinik soll zudem eine regelmässige Sprechstunde für MS-Patienten eingerichtet werden – ein Novum für die Schweiz. Wann dies geschehen soll, ist aber noch nicht bestimmt worden.
Wie bei den anderen Schwerpunkten auch, sind derzeit erst die Gelder für die ersten vier Jahre gesprochen. Danach erfolgt eine Evaluation durch den Nationalfonds und ein externes Komitee. Beurteilt werden dabei nicht nur Forschungserfolge, sondern beispielsweise der Technologietransfer in die Wirtschaft. Der querschnittgelähmte Nationalrat Marc Suter – Vertreter der Politik am Symposium – wandte sich dabei auch als Patient an die Forscher und mahnte: „Wir vertrauen euch – doch weckt keine unrealistischen Erwartungen in uns. Wir Patienten wurden schon oft enttäuscht.“