Forschungsförderung mit Hindernissen
Der Aufbau der ersten nationalen Forschungsschwerpunkte verzögert sich weiter
Mit den nationalen Forschungsschwerpunkten beschreitet die Schweizer Forschungsförderung neue Wege. Thematische Grossprogramme werden durch Kompetenzzentren und damit verbundene Netzwerke ersetzt. Derzeit warten 18 Projekte, welche die Endrunde des langwierigen Auswahlverfahrens erreicht haben, auf den längst fälligen Entscheid. Kritik am Selektionsprozess wie an der grundsätzlichen Ausrichtung des neuen Förderungsprogramms ist dabei nie ganz verstummt.
Revisionen der Forschungsförderung verfolgen hehre Ziele: Sie sollen die Wissenschaft eines Landes für den internationalen Wettbewerb konkurrenzfähiger machen, gilt Forschung doch als zentraler Pfeiler des Wohlstand einer Gesellschaft. Die Schweiz erlebt derzeit eine solche Revision grösseren Ausmasses. Bald sollen die ersten nationalen Forschungsschwerpunkte (NFS) ihren Betrieb aufnehmen. Diese bestehen aus einem Kompetenzzentrum (sog. „leading house“) an einer schweizerischen Universität oder einer anderen hochschulnahen Forschungseinrichtung und einem Netz von Partnerinstituten. Die Knoten des Netzes können dabei bis in die Fachhochschulen, in die Industrie und zu internationalen Partnern reichen. Diese NFS werden jeweils über dem Zeitraum von zehn Jahren mit jährlich zwei bis sechs Millionen Franken unterstützt, müssen sich dabei aber einer regelmässigen Evaluation stellen. In den nächsten drei Jahren sollen insgesamt gut 114 Millionen Franken zur Verfügung stehen. 2002 folgt wahrscheinlich eine zweite Ausschreibung. Inskünftig sollen gleichzeitig 20 bis 25 Projekte unterstützt werden.
Die NFS lösen die sogenannten Swiss Priority Programs (SPP) ab. Diese waren 1992 mit dem Ziel lanciert worden, den Forschungsplatz Schweiz in strategisch wichtigen Bereichen zusätzlich zu stärken, beispielsweise in der Biotechnologie und der Umweltforschung. Konzeptionell erfüllten die SPP aber die Erwartungen nicht. Die Einbindung der Forscher in die Themensetzung sowie die institutionelle Verankerung waren mangelhaft, wie der Schweizerische Nationalfonds in einem Bericht zur Reform der SPP festhielt.
Mit den NFS sollte dies anders werden: Die Ausschreibung erfolgte im Januar 1999 in einem offenen Wettbewerb zwischen den Wissenschaftlern. Als thematische Leitplanken wurden einzig die vom Bundesrat aufgestellten forschungspolitischen Ziele vorgegeben: Biowissenschaften, Sozial- und Geisteswissenschaften, nachhaltige Entwicklung sowie Informations- und Kommunikationstechnologien sollten besonders gefördert werden.
Anpassung der Hochschullandschaft
Die Nationalen Forschungsschwerpunkte bildeten einen essenziellen Teil bei der Anpassung der Schweizerischen Hochschullandschaft an die Erfordernisse der Zeit, erläuterte damals Charles Kleiber, Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung. Massnahmen für den Wissenstransfer in die Praxis, die Aufbrechung der disziplinären Grenzen und die Rückkopplung der Forschung mit der Lehre sind denn auch Bedingungen, denen sich die NFS-Projekte stellen müssen. Sie entsprechen damit einem Leitgedanken von Kleibers Vision von Forschungsförderung, wonach eine Neuausrichtung institutioneller Strukturen und die Bildung von Netzwerken angestrebt werden soll.
Der erste Selektionsschritt verlief weitgehend innerhalb der Forschergemeinschaft: Von den 220 eingegangenen Vorschlägen wurden deren 84 als ausgearbeitete Projekte dem Nationalfonds unterbreitet. Dann überprüfte dieser die Einhaltung formaler Anforderungen – beispielsweise die Darlegung der wissenschaftlichen Relevanz oder die Beachtung der Frauenförderung. 34 Projekte „überlebten“ diesen Schritt. Sieben international zusammengesetzte Expertenkommissionen bewerteten danach diese Projekte bezüglich ihres wissenschaftlichen Potenzials. Vertreter des Nationalfonds wie Kleiber erklärten damals vor den Medien, dass in dieser Phase keine forschungspolitischen Überlegungen in den Selektionsprozess einfliessen würden.
Im Juli übergab der Nationalfonds dem Eidg. Departement des Innern eine Liste von 18 Vorschlägen. Der bundesrätlichen Themensetzung folgend, lassen sich sieben den „Lebenswissenschaften“ zuordnen, jeweils drei den „Sozial- und Geisteswissenschaften“ und den „Informations- und Kommunikationstechnologien“ sowie zwei dem Forschungsfeld „Nachhaltige Entwicklung und Umwelt“. Drei weitere Projekte können nicht in diese Kategorisierung eingereiht werden. Sechs NFS widmen sich letztlich der Medizin zuordbaren Fragestellungen in den Bereichen Krebsforschung, Neuromedizin, Herzkrankheiten, public health, Altersforschung und Computerhilfsmittel für die Medizin. In den Bereich Technologieentwicklung lassen sich fünf Projekte einordnen (Nano-, Kommunikations-, Informations- und Materialtechnologie sowie Quantenphotonik). Je zwei Projekte thematisieren Auswirkungen der Globalisierung auf Entwicklungszusammenarbeit und Politik, sowie molekularbiologische Grundlagenforschung (Genomik und Proteomik). Je ein Projekt stammt aus den Gebieten Klimaforschung, Pflanzenökologie und Finanzwirtschaft.
In der anstehenden Schluss-Selektion, welche innerhalb des EDI vom Staatssekretariat für Forschung vorbereitet und durch die Bundesräte Dreyfus und Couchepin abgesegnet wird, sollen auch forschungspolitische Kriterien einfliessen. Ursprünglich war vorgesehen, dass im Januar 2000 maximal acht NFS ausgewählt werden sollten. Im Juli dieses Jahres hiess es, etwa zehn NFS sollten realisiert werden, der Entscheid falle Ende Oktober.
Verwirrung in der Endphase
Mit dem Einfliessen der Wissenschaftspolitik ist nun aber Verwirrung entstanden, welche den Entscheid offenbar weiter hinauszögert. Kurz nach der Übergabe der Liste an das EDI wurde bekannt, man wolle möglichst viele der eingereichten NFS-Projekte unterstützen. Dies hat Auswirkungen sowohl auf die Finanzierung der Projekte wie auch auf die Spielregeln des Selektionsprozesses: In Anbetracht der begrenzten Finanzmittel stünde weniger Geld für die einzelnen Projekte zur Verfügung. Eine zusätzliche Erschliessung von Finanzquellen widerspricht dem in den Vorgaben für die NFS-Projekte enthaltenen Grundsatz, dass der Bund durch die NFS nicht zusätzlich belastet werden dürfe. Zudem wäre eine zweite Ausschreibungsrunde in zwei Jahren wohl nicht mehr möglich. Viele der in der bisher letzten Selektionsphase abgelehnten Projekte wurden aber auf diese vertröstet.
Hans Peter Hertig, Generalsekretär des Schweizerischen Nationalfonds, hat jedenfalls auf Anfrage erklärt, dass eine derartige Regeländerung seiner Ansicht nach nicht in Frage kommen könne: „Alle 18 Vorschläge sind unterstützungswürdig. Doch das Geld für deren Finanzierung ist nicht vorhanden. Wir sind davon ausgegangen, dass eine Selektion der 18 Pro¬jekte und eine zweite Ausschreibung stattfindet.“ Die Basler Universität hatte bereits im Sommer offiziell gegen diese Regeländerung protestiert. Der Forschungsstandort Basel ist mit lediglich einem Projekt (Nanotechnologie) in der Endauswahl vertreten und fürchtet nun, dass dieses im Fall einer definitiven Wahl nicht mehr die erforderlichen Mittel erhalten würde.
Von Vertreterinnen und Vertretern der in der letzten Runde abgewiesenen Projekte wurde zudem Kritik am Selektionsverfahren geübt, Die Leiterin des Basler Gender-Projektes, Regina Wecker vom historischen Seminar der Universität Basel, erklärte, eine Fachperson aus den Geisteswissenschaften fehlte in den Beurteilungsgremien. Rodney Douglas vom Zürcher Institut für Neuroinformatik und Leiter des Zürcher Neuroinformatik-Projektes bemängelte ebenfalls das Fehlen einer entsprechenden Fachperson im internationalen Selektionskomitee.
Nach Ansicht von Martin Vetterli, Professor für Kommunikationssysteme an der EPF Lausanne und Leiter des noch im Rennen stehenden Projektes „Mobile information and communication systems“, zeigt das Selektionsverfahren die Grenzen des Milizsystems auf: „Alle geben sich viel Mühe. Doch die Schweiz ist klein und der Einfluss der Politik kommt zu früh ins Spiel. Die ständigen Verzögerungen sind frustrierend.“
Andere Vertreter der letzten 18 Projekte sind in ihrer Beurteilung wohlwollender. Hans Hurni vom geographischen Institut der Universität Bern zeigte sich positiv überrascht darüber, dass sein Projekt die Endrunde erreichte. Dieser NFS soll neue, interdisziplinäre und partizipative Formen der Wissensbeschaffung und Lösungsfindung in sogenannten Syndromgebieten – Erdregionen mit mehrfacher Problembelastung wie Umweltzerstörung, Migrationsdruck etc. – entwickeln. Hurni: „Der Nationalfonds und die Experten haben einen grossen Schritt getan, indem sie unser für sie doch eher exotisches Projekt unterstützten.“
Pro und Kontra Netzwerke
Oystein Fischer, Physiker an der Universität Genf und Leiter des Projektes „Materials with novel electronic properties“ attestiert den Beurteilern Kompetenz. Er hatte es wohl leichter als Hurni, da sein Forschungsgebiet neu ist und ein grosses Wachstumspotential besitzt. Es geht um die Erforschung von Materialien wie Oxiden und Kohlenstoffverbindungen, welche die Grundlage für eine neue Elektronik bilden sollen. Er hält denn auch ein Instrument wie die NFS durchaus für geeignet, um in diesem zukunftsträchtigen Gebiet neue Forschungskompetenz in der Schweiz aufbauen zu können.
Genau dies wird aber von anderer Stelle bestritten: Walter Gehring vom Basler Biozentrum hält die Bildung von Netzwerken für den falschen Weg, da sie Unterschlupf für mittelmässige Forscher bieten. Er selbst wurde durch die Ablehnung seines Projektes über Organogenese tief getroffen, da er dies bewusst vermeiden wollte und die besten Leute zusammengezogen habe. Gottfried Schatz, der neue Präsident des Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierates, äusserte sich kürzlich in einem Interview ähnlich: Forschung solle nicht über Netzwerke, sondern durch die Finanzierung der Besten gefördert werden. Er stellt sich damit in direkten Gegensatz zu den forschungspolitischen Visionen von Charles Kleiber.
Der Nationalfonds seinerseits hält die spezifische Kritik am Selektionsverfahren für nicht berechtigt. Hertig meint: „Unser Verfahren entspricht internationalen Ansprüchen.“ Hingegen verstehe er die Frustration der Ausgeschiedenen, welche einen grossen Arbeitsaufwand hätten leisten müssen, ohne zum Erfolg zu gelangen. Für die zweite Ausschreibung müsse überlegt werden, ob man die Zahl der angesprochenen Wissenschaftler nicht einschränken wolle.
Charles Kleiber seinerseits will zur derzeitigen Situation nicht Stellung beziehen. Er verweist auf eine Pressekonferenz Anfang Dezember, an welcher die neuen nationalen Forschungsschwerpunkten vorgestellt werden sollen.