Einstein und der würfelnde Gott
Zwei Revolutionen widerfuhren der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Eine dieser Revolutionen – die Relativitätstheorie – hat Albert Einstein selbst angestossen. Auch bei der anderen Revolution – der Quantentheorie – hatte Einstein zu Beginn wichtige Beiträge geleistet, doch später begegnete er ihr mit unverhohlener Skepsis. Worin gründeten Einsteins Zweifel am „würfelnden Gott“?
Im Jahr 1944 schrieb Albert Einstein folgende Zeilen an den deutschen Physiker Max Born: „In unserer wissenschaftlichen Erwartung haben wir uns zu Antipoden entwickelt. Du glaubst an den würfelnden Gott und ich an die volle Gesetzlichkeit in einer Welt von etwas objectiv Seiendem, das ich auf wild spekulativem Weg zu erhaschen suche. Ich glaube fest, aber ich hoffe, dass einer einen mehr realistischen Weg, bezw. eine mehr greifbare Unterlage finden wird, als es mir gegeben ist. Der grosse anfängliche Erfolg der Quantentheorie kann mich doch nicht zum Glauben an das fundamentale Würfelspiel bringen, wenn ich auch wohl weiss, dass die jüngeren Kollegen dies als Folge der Verkalkung auslegen. einmal wird’s sich ja herausstellen, welche instinktive Haltung die richtige gewesen ist.“
Dieses Zitat bringt zwei wesentliche Charakterzüge Einsteins zum Ausdruck: Erstens, sein Glaube an das „objectiv Seiende“, das er, zweitens, auf „wild spekulativem Weg“ ergründen will. Im zweiten Punkt gründet ein wesentlicher Zug des öffentlichen Bildes von Einstein als einem Forscher, der als Aussenseiter dem Establishment „die Zunge zeigt“ (so ein berühmtes Bild von Einstein) und dabei Geniales leistet. Sein Glaube an eine „objektive Welt“ war aber gleichermassen ein treibender Gedanke in seiner wissenschaftlichen Arbeit. Dieser war wohl auch das Fundament seiner Skepsis gegenüber sozialer Hierarchien – man denke etwa an seine Kritik an den kasernenhaften Gymnasien seiner Schulzeit. Doch warum soll diese Grundhaltung mit der Quantentheorie in Konflikt geraten?
Hier muss wohl oder übel eine kurze und sehr skizzenhafte Einführung in diese Theorie gegeben werden, welche um 1925 geradezu explosionsartig aufblühte und das Weltbild der Physik wohl nachhaltiger erschütterte als die Relativitätstheorie. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als man unter der Tätigkeit der Physiker die Feinpolitur an einem fast perfekten Gebäude verstand, widerstanden einige Probleme hartnäckig einer Lösung. Eines dieser Probleme betraf die so genannte „Schwarzkörperstrahlung“. Ein von Licht bestrahlter schwarzer Körper erwärmt sich bekanntlich. Die dadurch abgegebene Energie des Körpers hat je nach Frequenz der Strahlung eine charakteristische Intensität und es ging darum, eine Formel zu finden, welche dieses Spektrum der von einem schwarzen Körper abgegebenen Strahlung beschrieb. In einem „Akt der Verzweiflung“ schlug der deutsche Physiker Max Planck vor, dass die Strahlung in Form von „Energiepaketen“ – Quanten – abgegeben wird, was eine präzise mathematische Beschreibung des Phänomens erlaubte. Damit wurde der Weg für eine neue Physik frei, in welcher Strahlung als Wellen- wie als Teilchenphänomen beschrieben werden konnte. Hierzu hatte Einstein mit der Erklärung des Photoeffekts einen wichtigen Beitrag geleistet, wofür er 1921 den Nobelpreis erhielt.
Der Mitte der 1920er Jahre von Erwin Schrödinger und Werner Heisenberg entwickelte mathematische Apparat für die Beschreibung dieser Phänomene enthielt dann aber den Zufall als fundamentales Element. Ein quantenmechanisches System – beispielsweise ein sich um einen Atomkern bewegendes Elektron – wird durch eine Gleichung beschrieben, die lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen darüber macht, in welchem Zustand (z.B. der genaue Ort des Elektrons) sich das System befindet. Erst mit einer Messung des Systems erhält man Gewissheit über den Zustand des Systems. Der „würfelnde Gott“ verbirgt sich dabei im physikalischen Gesetz (die Schrödinger-Gleichung), welcher die Veränderung des Zustandes des Systems beschreibt. Zudem postuliert die Quantentheorie, dass gewisse Zustandsvariablen – wie beispielsweise der Ort und die Geschwindigkeit eines Teilchens – prinzipiell nicht gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit gemessen werden können (sie so genannte „Heisenbergsche Unschärferelation“).
Dieses auf den ersten Blick eher abstrakte Problem verändert das Weltbild der Physik fundamental, da die physikalische Welt ein inhärentes Element der Zufälligkeit erhält. Der dänische Physiker Niels Bohr – Einsteins Gegenspieler in dieser Debatte – drückt dies so aus, dass die Physik nicht sage, was ist, sondern was wir einander über die Welt mitteilen könnten. Man könne beispielsweise nicht behaupten, dass ein Elektron an sich einen genau bestimmten Ort hat. Erst wenn man nachschaut – also misst – hat die Rede vom Ort eines Elektrons einen Sinn. Einstein hat erkannt, dass dies zu eigenartigen Paradoxien führen kann. Er hat 1935 – zusammen mit den Physikern Boris Podolsky und Nathan Rosen – eine solche Paradoxie in die Diskussion geworfen. Kern dieses berühmten EPR-Paradox genannte Gedankenexperiment sind zwei Lichtteilchen (Photonen), welchen eine quantenmechanische Zustandsgrösse (der so genannte Spin) zugeordnet wird (wir verwenden hier eine Formulierung des EPR-Paradox, welche später experimentell geprüft wurde). Würde man den Spin dieser Teilchen messen, so kann er nur zwei Werte – sagen wir +1 oder -1 – annehmen. Man kann diese Teilchen nun gemeinsam erzeugen, so dass deren Spin aufeinander abgestimmt sind: Wenn man beim ersten Teilchen +1 misst, muss man beim anderen Teilchen -1 messen (und umgekehrt). Mit der Quantentheorie kann man nur die Wahrscheinlichkeit berechnen, ob man beim ersten Teilchen +1 oder -1 messen würde. Wenn man dann aber misst, weiss man sofort, dass das andere Teilchen den entgegen gesetzten Wert haben muss – auch wenn das andere Teilchen tausende Kilometer entfernt ist. Deshalb, so Einstein, müsse die Eigenschaft, dass ein Teilchen einen bestimmten Spin hat, objektiv vorhanden sein – schliesslich könne ein Teilchen dem anderen nicht mit Überlichtgeschwindigkeit mitteilen, was nun an ihm gemessen wurde.
Bohr antwortete auf dieses Paradox, dass die beiden Teilchen eben gar keine zwei verschiedenen Systeme darstellen würden, sondern „verschränkt“ sind und demnach eine Einheit bilden – was Einstein als weiteres Indiz für die Unsinnigkeit der Quantentheorie hielt. Er glaubte, dass die Quantentheorie nur eine vorläufige Theorie sei und dereinst durch eine bessere abgelöst werde. Dieser Wunsch Einsteins hat sich aber nicht bestätigt – im Gegenteil. Im Jahr 1965 hat der Physiker John Bell das EPR-Paradox genauer untersucht und eine experimentell prüfbare Variante vorgeschlagen, die zwischen der Interpretation von Einstein und Bohr zu unterscheiden vermag. Im Jahr 1982 wurde dann das Experiment erfolgreich durchgeführt: Die Quantentheorie und damit die Ansicht von Bohr wurde bestätigt. Um in Einsteins Bild zu bleiben, würfelt Gott also tatsächlich. Was das genau für das moderne physikalische Weltbild bedeutet, ist aber auch heute noch Gegenstand der Debatte.