Von Insekten und Menschen: Moskitos hören ähnlich wie wir
Das menschliche Gehör ist unglaublich empfindlich. Dies ist eine Folge aktiver Mechanismen, welche im Hörorgan Kochlea wirken. Zürcher Forscher haben nun herausgefunden, dass sich erstaunlicherweise vergleichbare aktiven Mechanismen im Gehör von Moskitos finden lassen. Damit können Insektenohren als Modell dienen, um fundamentale Aspekte des Hörvorgangs zu analysieren.
Unser Gehör ist derart empfindlich, dass wir beinahe hören könnten, wenn es warm wird. Wärme ist wie Schall letztlich Molekülbewegung und hören bedeutet die Umsetzung von mechanischer Bewegung in Nervenimpulse. Die Sensitivität der Schallrezeptoren im menschlichen Ohr hört erst bei der sogenannten Brownschen Bewegung auf, der thermisch induzierten Bewegung von Molekülen. Damit ist das Gehör ein herausragendes Beispiel dafür, wie perfekt sich biologische Sensoren im Laufe der Evolution entwickelt haben und hart an der Grenze des physikalisch Machbaren und biologisch Sinnvollen operieren – schliesslich wäre es seltsam, wenn wir ständig das Rauschen der Brownschen Bewegung beim Sonnenbaden im Ohr hätten.
Das menschliche Ohr hat eine komplexe Struktur: Schallwellen werden vom Trommelfell aufgefangen und via die Gehörknöchelchen an die Kochlea – dem eigentlichen Sensor – weitergeleitet. Die Kochlea ist ein zur Schnecke aufgerollter, in der Mitte durch eine Membran getrennter und flüssigkeitsgefüllter Schlauch. Diese mittlere Membran – die Basilarmembran – ist die zentrale Komponente der Kochlea: Sie ist mit den Sensorzellen – den inneren und äusseren Haarzellen – verbunden und vibriert je nach Frequenz an einer unterschiedlichen Stelle. Dadurch können wir verschiedene Tonhöhen auseinanderhalten – eine Voraussetzung, um beispielsweise Sprache verstehen zu können. Beim jungen Menschen reicht das wahrnehmbare Frequenzspektrum von 16 Hertz bis etwa 20 Kilohertz.
Aktive Verstärkung
Entscheidend für die Empfindlichkeit des Gehörs sind aber die aktiven Mechanismen: Die äusseren Haarzellen reagieren bereits auf kleinste Vibrationen, ziehen sich rhythmisch zusammen und verstärken damit die durch die inneren Haarzellen registrierten Schwingungen. Daraus resultiert die oben angesprochene Empfindlichkeit. Bei zunehmender Intensität des Schalls nimmt dieser Effekt ab – man spricht von „kompressiver Nichtlinearität“. Diese ist eine aktive Leistung des Organismus – sterben die äusseren Haarzellen, schwingt die Basilarmembran nur noch passiv und die Verstärkung findet nicht mehr statt. Ein anderer Effekt dieser aktiven Mechanismen sind die sogenannten „otoakustischen Emmissionen“: Ein schwacher Schallimpuls kann die äusseren Haarzellen derart anregen, dass die Basilarmembran zu schwingen beginnt und damit Schall produziert. Wird also ein solcher Effekt nachgewiesen, ist die ein Hinweis auf ein aktiver Verstärkungsmechanismus. Diese aktiven Mechanismen sind – so glaubte man bisher – die charakteristischen Eigenschaften von Wirbeltierohren.
Die Zürcher Bioakustiker Martin C. Göpfert und Daniel Robert haben nun kürzlich herausgefunden , dass dem nicht so ist. Aktive Mechanismen wirken erstaunlicherweise auch in Insektenohren – noch Mitte des 20. Jahrhunderts war für die Forschung gar unklar, ob manche Insekten überhaupt hören können. Erstaunlich ist dies – zumindest auf den ersten Blick – deshalb, weil Insektenohren eine ganz andere und viel einfachere Struktur haben. Die Mehrzahl der Ordnung der Zweiflügler hören mit antennenartigen Gebilden, eine Minderheit besitzt eine Art Trommelfell.
Objekt der Forschung von Göpfert und Robert waren Moskitos, genauer gesagt Exemplare der in Tansania vorkommenden Spezies Toxorhynchites brevipalpis. Die Männchen besitzen eine etwa drei Millimeter lange Antenne, welche Schallwellen aufnimmt und die Schwingungen an das sogenannte Johnstonsche Organ am Fuss der Antenne weitergibt. Dort wandeln etwa 15'000 Sinneszellen – erstaunlicheweise etwa gleich viel wie in der menschlichen Kochlea – die Schwingungen in Nervenimpulse um. Das Gehör der Moskitos ist zentral für deren Fortpflanzung: Männchen nehmen das Summen der Weibchen wahr und können sie dadurch finden.
Göpfert und Robert beschäftigen sich schon seit Jahren mit Insektenohren. Diese weisen eine mit dem menschlichen Gehör vergleichbare Sensitivität auf. „Wir waren deshalb mit der Frage konfrontiert, ob auch bei Moskito-Ohren aktive Mechanismen bei der Verstärkung von Schallwellen im Spiel sind“, erklärt Martin Göpfert. Diese Idee wurde bereits Ende der 70er Jahre aufgeworfen. Doch da keinerlei empirische Evidenz vorlag, war die Mehrheit der Insektenforscher der Ansicht, dass Insekten rein passiv hören. Göpfert und Robert suchten nun nach Indizien, welche auf aktive Prozesse hinweisen: unter anderem kompressive Nichtlinearität und otoakustische Emmissionen.
Hochempfindliche Messtechnik
Zentral ist dabei eine ausgefeilte Messtechnik, unter anderem mit Hilfe eines Laser-Doppler-Vibrometers, welcher Bewegungen im Nanometerbereich erfassen kann. „Wir können Dinge messen, welche uns manche Forscher kaum glauben können“, sagt Daniel Robert dazu. Sich über mehrere Monate erstreckende Messreihen haben nun gezeigt, dass sich die genannten aktiven Effekte auch bei Moskitos aufspüren lassen: Es findet eine aktive Verstärkung der für die Moskitos biologisch wichtigen Frequenzen statt – beim Männchen ist dies das Summen des Weibchens (um 400 Hertz). Dieser Effekt verschwindet bei toten Tieren. Zudem kann die Antenne auch von selber schwingen (otoakustische Emmission), wobei die Schwingungen nicht durch Muskeln, sondern durch die Sinneszellen des Johnstonschen Organs hervorgerufen werden.
„Damit zeigt sich eine überraschende Parallele zwischen Wirbeltier- und Insektenohren, was durch zusätzliche Indizien gestützt wird“, meinen Göpfert und Robert. Sie verweisen dabei auf genetische und molekularbiologische Untersuchungen, wonach bei der Ausbildung der Sinneszellen des Johnstonschen Organs und der Haarzellen die gleichen Gene im Spiel sind und auf ähnliche Weise Bewegung in Nervenimpulse umgewandelt wird. „Möglicherweise haben sich die aktiven Mechanismen des Hörens in Menschen und Moskitos nicht unabhängig voneinander entwickelt, sonden besitzen eine gemeinsame evolutionäre Wurzel“, schliessen die Zürcher Forscher aus diesen Ergebnissen.
Für Göpfert und Robert steht nun eine neue, attraktive Methode zur Erforschung grundlegender Mechanismen des Hörens offen: Das Hörorgan der Moskitos ist weit besser zugänglich als die Kochlea von Wirbeltieren, welche sich gut verborgen im Schädelknochen befindet. Es hat auch eine mit dem menschlichen Ohr vergleichbare Anzahl von Sinneszellen. Zudem wiegen ethische Bedenken bei Insektenexperimenten geringer als bei Meerschweinchen, welche meist für Kochlea-Versuche herhalten müssen, da deren Hörorgan noch vergleichsweise gross und gut zugänglich ist. Angesichts der Zunahme von Hörschäden in der modernen Gesellschaft wird diese Form der vergleichenden Hörforschung immer mehr an Aktualität gewinnen. Diese vielversprechende Forschung werden Göpfert und Robert allerdings in England weiterführen – sie erhielten einen Ruf von der Universität Bristol.