Schweizer Ethiker organisieren sich
Der Fortschritt in den Biowissenschaften heizt die ethische Debatte an. Die Schweizer Ethikerinnen und Ethiker wollen sich künftig in regelmässigen Treffen über aktuelle Entwicklungen gegenseitig informieren. Das erste derartige Treffen fand kürzlich in Fribourg statt.
Die derzeit laufende Stammzellen-Debatte im deutschen Feuilleton gibt einen Eindruck darüber, wie kontrovers ethische Implikationen insbesondere biowissenschaftlicher Forschung diskutiert werden. In der Schweiz hält sich das Ausmass der Debatte noch in Grenzen und wurde teilweise durch die Diskussion während der Abstimmung um das Fortpflanzungsgesetz vor einem Jahr vorweggenommen. Doch die durch die Stammzellenmedizin genährten Hoffnungen dürften die restriktiven Regeln des Schweizer Gesetzes bald unter Beschuss kommen lassen – eine verschärfte ethische Debatte ist auch hierzulande zu erwarten.
Angesichts der zu erwartenden stärkeren „Beanspruchung“ der Ethik organisieren sich nun die Fachleute in der Schweiz: Ende Juni fand in Fribourg das erste Schweizer Ethikertreffen mit dem Ziel statt, zur Idenditätsbildung und zum Gedankenaustausch der Ethiker in der Schweiz beizutragen. 1999 kam es bereits zu einer Zusammenkunft mit dem Ziel, ein Projekt für einen nationalen Forschungsschwerpunkt auszuarbeiten – was im Nachhinein aber scheiterte. Künftig wird es nun jährlich ein solches Treffen geben.
Zwei Themenbereiche werden am Treffen jeweils behandelt: Wissenschaftliche Kontroversen über die Begründung ethischer Ansprüche und aktuelle ethische Debatten. Zum ersten Themenkomplex führte Klaus Peter Rippe (Universität Zürich) in die Frage ein, inwiefern bei der Begründung ethischer Standpunkte auf Metaphysik verzichtet werden soll. Sein Plädoyer gegen Metaphysik traf bei den Sozialethikern und Theologen erwartungsgemäss auf Widerspruch.
„Die Ethik“ in der Ethikkommission
Von praktischer Relevanz waren die Ausführungen von Denis Müller (Universität Lausanne) über die Rolle des Theologen in den Ethikkommissionen. Interessant war insbesondere seine Beobachtung, dass von den Theologen erwartet wird, den Begriff der „Schuld“ in die Debatte der Kommissionen einzubringen und zu vertreten. In der Diskussion wurde ein Spannungsfeld deutlich, dem sich die Ethiker in den Ethikkommissionen oft ausgesetzt fühlen: Zum einen ist man sich über die Vielfalt ethischer Positionen und Begründungsansätze in einer pluralistischen Gesellschaft bewusst. Zum anderen wird trotzdem vom Ethiker verlangt, die Position „der Ethik“ zu vertreten. Kurt Weisshaupt vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft stellte dazu klar, dass die schweizerische Gesetzgebung diesbezüglich eine Pionierrolle eingenommen habe: Explizit werde verlangt, dass Vertreter verschiedener ethischer Positionen in Ethikkommissionen vertreten sein müssten.
Der Nachmittag war aktuellen Fragen gewidmet: Christoph Rehmann-Sutter (Universität Basel), der inzwischen zum Präsidenten der Nationalen Ethikkommission für den Bereich Humanmedizin gewählt worden ist, sprach über ethische Probleme des Humangenom-Projektes. Im angelsächsischen Raum wurden diese im Rahmen der HUGO (Humane Genome Organisation) systematisch untersucht. Dieses ELSI-Projekt (ethical, legal, and social issues) wurden mit 80 Millionen Dollar Forschungsmittel unterstützt. Rehmann-Sutter plädierte deshalb für ein auf schweizerische Verhältnisse angepasstes Forschungsprogramm, um einen systematischen Überblick über die Probleme in diesem Bereich zu erhalten und entsprechende Lösungsansätze entwickeln zu können.
Ethische Probleme der Stammzellenforschung wurden in zwei Referaten (Sybille Ackermann, Universität Fribourg; Alexandre Mauron, Universität Genf) beleuchtet. Ackermann plädierte für eine abgestufte Schutzwürdigkeit menschlicher Embryonen, währenddem Mauron direkt die Argumente der Skeptiker angriff. Diese wollten mit einer „weissen kantianischen Weste“ dastehen und von Forschungsergebnissen im Ausland profitieren – was in der nachfolgenden Diskussion sofort auf Kritik stiess. Damit wurde deutlich dass die Schweizer Ethiker-Treffen nicht dazu dienen werden, die „moralisch geprüfte“ richtige Antwort auf aktuelle Fragen zu geben. Hingegen sollen sie die noch fragmentierte Schweizer „Ethiker-Szene“ derart zusammenführen, dass ihre Stimme mehr Gewicht in der sich anbahnenden öffentlichen Debatte erhält.