Die Tuareg – ein Volk sucht seine Zukunft
Der Zusammenbruch des Saharatourismus hat unabsehbare wirtschaftliche Konsequenzen
Sanfter Tourismus war ein Hoffnungsträger des in der Sahara lebenden Volk der Tuareg, welches sich in den vergangenen Jahrzehnten einem Wechselspiel von Politik, wirtschaftlicher Entwicklung und klimatischem Wandel ausgesetzt sah. Doch die Entführung europäischer Wüstenreisender hat unabsehbare Konsequenzen für die Dynamik in den algerischen Wüstenregionen. Mit dem Einbruch des Tourismus verlieren die Tuareg eine wichtige Möglichkeit, ihre traditionelle Lebensweise mit der Moderne in Einklang zu bringen.
Akulem kennt jeden Weg. Der über 60-jährige, hagere Mann ist die unbestrittene Autorität einer grossen Familie der Hoggar-Tuareg. Als kleiner Junge schickten ihn seine Eltern über Tage hinweg zum Ziegen hüten in die unwegsame Gebirgswüste des Zentralmassivs der Sahara. Später führte er Salzkarawanen von den Salzminen im nördlichen Hoggar sicher durch die algerische Wüste in den Niger. Und bis vor kurzem geleitete er kleine Touristengruppen durch die Steinlandschaften des Hoggar. Auf die unglaublich scheinende Sicherheit angesprochen, mit der er die Wege in der für europäischen Augen gleichförmigen Landschaft erkennt, entgegnet er: „Die Ausbildung der Tuaregführer ist einfach: Für jeden Weg werden sie einmal mitgenommen. Dann kennen sie die Strecke“. Menschen wie Akulem besitzen eine Sensitivität für das Raumzeitliche, die den Menschen der Moderne verloren gegangen ist.
Wüste zwischen Stillstand und Wandel
Europäische Wüstenreisende verlassen sich auf das Satelliten gestützte GPS oder auf Führer wie Akulem, wenn sie „das Meer ohne Wasser“ - so nennen die Wüstenbewohner die Sahara - erleben wollen. Für sie ist die Wüste ein Ort der Ruhe und Einkehr, wo sich jene Lebensweisen erhalten haben, an denen sich die stressgeplagten Industriemenschen erlaben wollen: die drei Runden Tee, die nächtlichen Feuer, unter deren Glut das Brot der Tuareg - die Tagila - gebacken wird, oder das sich über Stunden erstreckende Beladen der Kamele.
Doch die Wüste ist kein Ort des Stillstands: Der in den letzten Jahren aufblühende Handel und Tourismus, sowie politische Gründe führten zum Wachstum von Wüstenstädten wie Tamanrasset. Auch die Tuareg sahen sich in den vergangene drei Jahrzehnten aus klimatischen und wirtschaftlichen Gründen gezwungen, die Lebensweise als Nomaden weitgehend aufzugeben. Der sich anbahnende Klimawandel schliesslich dürfte nach Ansicht von Wissenschaftlern für die Wüstenbewohner und die Menschen der Sahelzone Verbesserungen mit sich bringen. Die Auswirkungen dieses Wechselspiels von Einflüssen lässt sich an der Geschichte und der jetzigen Situation der Hoggar-Tuareg exemplarisch zeigen.
Für lange Zeit war die Wüste eine uneinnehmbare Bastion und widerstand den kolonialen Gelüsten der europäischen Grossmächte. Die Tuareg waren eines jener Völker, welche diesen Lebensraum besiedelten - hauptsächlich im Gebiet der heutigen Staaten Algerien, Mali und Niger. Sie galten als kriegerisch und stolz, besassen ein reglementiertes Sozialsystem und folgten einer – vor allem was die Stellung der Frau betrifft – liberalen Ausprägung des Islam. Als Karawanenräuber und Sklavenhändler waren sie gefürchtet, ihre Sprache und Kultur blieb Fremden lange verschlossen. Erst vor fast genau hundert Jahren, am 7. Mai 1902 mit dem Sieg der Franzosen in der Schlacht bei Tit nahe Tamanrasset, bekamen die Tuareg die Macht der Kolonialmächte zu spüren. Rund 300 Tuareg-Kämpfer unter Mohamed ag Othmane lieferten sich damals ein Scharmützel mit einer etwa 70 Mann starken französischen Truppe und wurden besiegt. Nach Gesprächen zwischen dem französischen General Laperrine und dem Tuaregfürsten Moussa ag Amastane kam es 1904 zu einem ersten Friedensschluss. Moussa ag Amastane war eine umstrittene Figur unter den Tuareg – einerseits war er ein wichtiger Führer, andererseits wurde er von anderen Tuareg-Stämmen als Verräter angesehen. Er starb 1921 und sein Grabmal kann heute noch in Tamanrasset besucht werden.
Nach 1904 kehrte noch kein Friede in der Region ein. Es folgten weitere kleinere Aufstände, welche sich im Verlauf des 1. Weltkriegs zu einem grösseren Aufruhr verdichteten. Eine legendäre Figur des Aufstandes war Kaossen ag Gedda, der die Tuareg gegen die Kolonialherren vereinen wollte. Trotz anfänglicher militärischer Erfolge waren die Tuareg den modernen Waffen der Franzosen nicht gewachsen. Es kam zu mehreren Kampfhandlungen, so beispielsweise zur Tötung von über 200 Tuareg der Kel Dinnik (dem Stamm der Dinnik mit Heimatgebiet im Niger). Nach Aussage des französischen Militärkommandanten Sadoux fielen diese Leute im Rahmen von Kampfhandlungen, doch in den Erzählungen der Tuareg war von einem Massaker an Unbewaffneten die Rede. Die Tuaregstämme mussten ihre Niederlage 1917 im Frieden von In Salah eingestehen. Kaossen geriet 1918 bei seiner Flucht durch die libysche Wüste in osmanische Gefangenschaft und wurde hingerichtet.
Père Foucauld – Erforscher der Tuareg
Eine weitere wichtige Figur jener Zeit war Père Foucauld. Der französische Lebemann Charles de Foucauld lernte die Wüste in seiner Militärdienstzeit kennen, wurde nach einem Sinneswandel Pater und liess sich 1905 im damals winzigen Dorf Tamanrasset nieder. Über zehn Jahre lebte er unter den Tuareg und gewann nach anfänglichem Misstrauen die Gunst der Wüstenbewohner. Er studierte Sprache und Schrift der Tuareg und stand ihnen beratend in Fragen der Medizin zur Seite. Père Foucauld galt als geschätzter, gar heiliger Mann, aber auch als Repräsentant der kolonialen Ordnung. Er kam 1916 während der Tuareg-Aufstände unter unklaren Umständen ums Leben. Soweit man heute weiss, wurde er von einer verirrten Gewehrkugel getroffen, die während eines Überfalls einer Senoussi-Patrouille und sie unterstützende Tassili-Tuareg auf Tamanrasset vermutlich von einem Tuareg abgeschossen wurde. Die aus Libyen stammenden Senoussi, eine strenggläubige islamische Sekte, waren erbitterte Gegner der französischen Kolonialmacht.
Noch heute ist der von Foucauld gegründete Orden „Petits Frères“ aktiv. Zwei Mitglieder, Père Alain und Père Edouard, leben bei der kleinen Klause von Père Foucauld auf dem Assekrem, dem 2585 Meter hohen und wahrscheinlich schönsten Aussichtsgipfel des Hoggar. Père Edouard lebt seit dreissig Jahren dort. Damals hatten noch gut 30 Familien bei der Ermitage ihr Lager aufgeschlagen, heute sind es nur noch deren zwei mit insgesamt 15 Personen. Zuweilen kamen auch Touristen auf den Assekrem und erlebten dort einen der wohl schönsten Sonnenaufgänge der Sahara. Wenn man rechtzeitig auf dem Hochplateau ankommt, kann man am täglichen Morgengottesdienst teilnehmen, der in seiner Schlichtheit an urchristliche Rituale erinnert.
Nach dem Verlust ihrer Souveränität begann eine Phase des kulturellen Niedergangs der Tuareg. Europäische Wertvorstellungen wurden ihnen in Nomadenschulen beigebracht, welche von den französischen Kolonialherren in den 1950ern eingerichtet wurden. Die Schulen wurden temporär in der Nähe der Lagerstätten der verschiedenen Tuaregfamilien errichtet, welche dann ihre Kinder in die Schule schicken mussten. Auch Akulem war einst in der Nomadenschule. Seine Eltern verboten ihm nach einiger Zeit den Besuch der Schule. „Sie befürchteten, ich würde zu viel lernen, auswandern und nie mehr zurückkehren“, erzählt Akulem.
Einer der Lehrer der Nomadenschulen war der Franzose Marceau Gast, der 1951 bis 1955 in Tamanrasset wirkte. Heute ist der Ethnologe und Anthropologe einer der bekannteste Tuareg-Kenner. Er arbeitet am Institut de Recherches et d’Études sur le Monde Arabe et Musulman in Aix-en-Provence. „Es war ein hartes Leben in jener Zeit“, erinnert sich Gast an seine Zeit als Nomadenlehrer. Innert sechs Monaten brachte er seinen Schülern Lesen, Zählen und die französische Sprache bei. Für seine Schüler hat sich die Lehrzeit offenbar gelohnt: „Alle meine Schüler sind heute reich“, erzählt Gast.
Entkolonialisierung und Dürre
Kurz bevor Marceau Gast seine Zeit als Lehrer in Tamanrasset beendet hatte, begann der Aufstand der Algerier gegen die französische Kolonialherrschaft. Der lange, blutige Krieg hat aber die Siedlungsgebiete der Tuareg – der Hoggar ist von Algier etwa gleich weit entfernt wie die Schweiz – nur wenig berührt. Die neuen algerischen Machthaber hatten nach der Unabhängigkeit Algeriens im Jahr 1962 ebenfalls kein besonderes Interesse an diesem Teil der Wüste. Die Tuareg erhielten keinen besonderen Status in Algerien. Die Regierung vermeidet es bis heute, die ethnischen Unterschiede innerhalb des Landes zu betonen. In Volkszählungen werden deshalb auch die einzelnen Völker nicht separat gezählt, da sich alle primär als Algerier sehen sollen. So existieren nur Schätzungen über die Zahl der Hoggar-Tuareg. Marceau Gast glaubt, dass derzeit noch etwa 3000 Nomaden im Hoggar leben - in einem mit 300'000 Quadratkilometern Fläche über sieben mal grösseren Gebiet als die Schweiz. Rund 50'000 Menschen lassen sich gemäss Gast kulturell den Tuareg zurechnen.
Algerien wurde auch zum Zufluchtsort für die Tuareg, die in den umliegenden Staaten gegen die neuen Machthaber rebellierten. 1962 erhoben sich die Tuareg des Adrar-Berglandes in Mali. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, viele Tuareg flüchteten vor den Massakern und den Straflagern, welche die Regierung von Mali in der Wüste errichten liess, nach Algerien. Die Entkolonialisierung brachte den Tuareg ein weiteres Problem. Anstelle der Weiten von Französisch-Westafrika entstanden Grenzen inmitten der Wüste. Bekannte Karawanenwege wie jener von Tamanrasset nach Agadez zu den Tuareg des Aïr im Niger wurden unterbrochen. Die Tuareg-Führer von Agadez waren sich des Problems bewusst und richteten 1958 einen Brief an Charles de Gaulle mit der Bitte zur Gründung eines Sahara-Staates. Der Brief wurde aber an den künftigen Staatschef von Niger, Hamadi Diori, weitergeleitet, der in diesem Ansinnen Verrat sah. Das Gebiet der Tuareg des Aïr wurde Niger zugeschlagen und die Tuareg bezahlten ihr Vorpreschen mit Repression. Mano Dayak, einer der einflussreichsten Tuaregführer der jüngeren Zeit, bezeichnete die Tuareg sinnigerweise als die Kurden Afrikas.
In Algerien hingegen erging es den Tuareg nicht schlecht. Sie waren als Volksgruppe zu klein, um einen relevanten Machtfaktor im Staat darzustellen. Sie wurden auch politisch besser integriert, wie Père Eduard zu berichten weiss. „Höchsten die liberale Haltung gegenüber den Frauen brachte manchmal Probleme mit den Arabern“, meint er. Die gute Integration zeigte sich auch darin, dass viele Tuareg in die algerische Armee eintraten, „um etwas aus sich zu machen“, so Marceau Gast. Tamanrasset wurde damals zu einem wichtigen militärischen Stützpunkt der algerischen Armee, um den Grenzschutz gegen Niger und Libyen zu gewährleisten. Dies löste den ersten Entwicklungsschub der jetzigen Stadt in der Wüste aus.
Ein einschneidendes Ereignis war schliesslich die schwere Dürre Anfang der 70er Jahre, von welchem sich die Nomaden der Wüste und des Sahel bis heute nicht vollends erholt haben. Zehntausende Menschen starben, die Herden wurden stark dezimiert. Algerien wurde auch hier Zufluchtsort für Tuareg aus Mali und Niger. Die dortigen Regierungen hatten den Hunger als Waffe gegen die Tuareg entdeckt, Hilfslieferungen an sie versickerten in dunklen Kanälen.
Aufkommen der Geldwirtschaft
Man kann jedoch den Niedergang der Lebensweise der Tuareg nicht auf Unterdrückung und Dürre allein zurückführen. Gerade in Algerien entwickelte sich eine wirtschaftliche Dynamik, welche viele Tuareg nach und nach in die Geldwirtschaft integrierte. Dies machte Lohnarbeit notwendig - ein für die Tuareg einschneidender Schnitt, denn „in der Sprache der Tuareg fehlte das Wort für Arbeit“, so Père Edouard. Traditionell wurde der Lebensunterhalt durch die nomadische Lebensweise und die Salzkarawanen gewonnen. Für den Gütertransport wurden aber ab den 50er Jahren mehr und mehr Lastwagen eingesetzt und die Dürren der 70er entzogen den Nomaden die Lebensgrundlage. Der dramatische wirtschaftliche Wandel zeigt sich beispielsweise im Tauschverhältnis von Salz gegen Mehl. In den 1920er Jahren erfolgte der Tausch im Verhältnis 1:7, in den 1950ern betrug dieses nur noch 1:1, erklärt Marceau Gast.
Das Dorf Tamanrasset entwickelte eine schier unglaubliche Anziehungskraft. Vor hundert Jahren bevölkerten kaum 30 Menschen das Dorf, bei der Unabhängigkeit Algeriens lebten rund 300 Menschen dort und vor dreissig Jahren waren es nur gut 3000, so Marceau Gast. Heute wird die Einwohnerzahl auf über 150'000 geschätzt. Im Zug der Aufgabe des Nomadenlebens durch die Tuareg bildeten sich um Tamanrasset viele kleine Dörfer, welche Zug um Zug in die Stadt integriert werden. Gast schätzt, dass bereits drei Viertel aller Tuareg sesshaft geworden sind, der Rest ist (oder besser: war) im Tourismus beschäftigt oder lebt noch nach der traditionellen Lebensweise als Nomaden. Die sesshaften Tuareg „sind nicht glücklich in Tamanrasset“, so Gast.
Für das Wachstum Tamanrassets lassen sich eine Reihe verschiedener Faktoren aufzählen. So wurde Tamanrasset 1974 zu einer Präfektur und erhielt damit eine eigene Verwaltung und Budgethoheit. Damit konnte die Region ihre Entwicklung zumindest teilweise in die eigenen Hände nehmen. Nebst der Zuwanderung durch die Tuareg entwickelte sich Tamanrasset auch als Ziel für die arabischen Algerier, welche vor den Wirren des seit über zehn Jahren dauernden Bürgerkriegs in den sicheren Süden flohen. Marceau Gast meint: „Tamanrasset ist eine sichere Stadt. Im Gegensatz zu anderen Städten Algeriens werden hier Diebe geschnappt.“ Zudem ist es im Süden Algeriens zu keinen Massakern durch Fundamentalisten oder Spezialeinheiten der Armee gekommen. Schliesslich ist Tamanrasset auch eine wichtige Zwischenstation und Leitstelle für den innerafrikanischen Flugverkehr geworden, was die Bedeutung der Stadt erhöhte.
Grosse Bedeutung des Tourismus
Eine in mehrfacher Hinsicht grosse Bedeutung hat der Sahara-Tourismus - sowohl für die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt als auch als Chance für die Tuareg für den Erhalt ihrer Lebensweise. Die Anfänge des Sahara-Tourismus lagen zu Beginn der 50er Jahre, als der Touring Club de France Reisen nach Tamanrasset zur Klause von Père Foucauld organisierte. Bedeutung gewann der Tourismus aber erst Anfang der 70er Jahre, wie Marceau Gast erläutert. Der Tourismus war eine wichtige Triebfeder für das weitere Wachstum von Tamanrasset. So gab es Mitte der 70er Jahre rund 160 sogenannte Agences - Organisatoren von Wüstentrips - in der Stadt. „jeder, der ein Auto besass, eröffnete eine“, so Gast. Diese führten nicht nur Touristen durch die Wüste. Langsam kam der Warenverkehr zwischen den Staaten wieder in Gang - und so manche Agence war im Menschenschmuggel tätig. Damals war Libyen ein gelobtes Land für viele schwarzafrikanische Arbeiter, welche in den Aufbauprogrammen des Muammar al-Kadhafi auf Beschäftigung hofften. „Die Schwarzen wurden durch die Wüste gekarrt und an der libyschen Grenze ausgesetzt - viele starben“, so Gast.
Der Sahara-Tourismus wurde eine wichtige Einnahmequelle der lokalen Bevölkerung und damit auch der Tuareg. Er erlebte aber einen abrupten Zusammenbruch zu Beginn der 90er Jahre. Einerseits war dies bedingt durch den Bürgerkrieg in Algerien. Dieser war eine Folge des Abbruchs der Kommunalwahlen 1990 durch das Militär, da sich in diesen ein Sieg der fundamentalistischen FIS abzeichnete. Andererseits erhoben sich die Tuareg in Mali und Niger gegen die anhaltende Repression durch die Regierungen ihrer Länder, es entwickelte sich auch hier ein mehrjähriger Bürgerkrieg und Algerien wurde strategisches Rückzugsgebiet für die Tuareg-Rebellen der Nachbarländer. Eine zentrale Figur des Aufstandes war Mano Dayak, ein Tuareg des Aïr (einem Gebiet im nördlichen Niger), der zunächst eine Reisebüro in Agadez unterhielt und unter anderem die Ralley Paris-Dakar in diese Region der Wüste brachte. Er war es, der die westliche Öffentlichkeit über die Situation der Tuareg aufklärte und er wurde zu einer treibenden Kraft für einen gerechten Frieden. 1993 schlossen die Tuareg in Mali Frieden mit ihrer Regierung und 1995, unter Vermittlung von Algerien und Mano Dayak, die Tuareg in Niger. Dayak selbst kam kurz vor den entscheidenden Verhandlungen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.
Gegen Ende der 90er Jahre kam auch der Tourismus wieder in Gang. Gut 50 Agences haben sich in Tamanrasset wieder formiert, eine davon besitzt Aissa Kacemi ben Kadda. Aissa stammt aus dem nördlichen Algerien und organisiert Touren für kleine Reisegruppen. Sein Anteil am Tourismusgeschäft ist aber klein: Rund 15'000 Touristen kamen in der Saison 2000/2001 nach Tamanrasset, deren 6 reisten mit Aissa, 2001/2002 waren es gut 12'000 Touristen, Aissa begleitete deren 16. Trotz dieser geringen Zahl bestreitet er mit diesen kleinen Gruppen einen grossen Teil des Lebensunterhalts seiner Familie - und man kann sich vorstellen, welch tiefer wirtschaftliche Einschnitt die jetzige Krise des Tourismus für diese Region hat, welche grosse Hoffnung in diesen Wirtschaftszweig gesetzt hat. Manche dieser Hoffnungen hatten aber auch ungemütliche Folgen für die Bewohner der Stadt. So liess die Stadtverwaltung in den vergangenen zwei Jahren Mauern um die Armensiedlungen, welche das Auge der Touristen stören könnten, bauen - der Volksmund nennt die „Mauern der Schande“. Bei den seltenen, aber sintflutartigen Regenfällen kanalisieren sie das Wasser und die Fluten lassen die Häuser der Armen einstürzen, klagt Aissa.
Der erneute Zusammenbruch des Tourismus hat insbesondere für die Tuareg gravierende Auswirkungen, denn er ermöglichte ihnen eine Integration in die Moderne, welche nicht im Widerspruch zur traditionellen Lebensweise steht. „Die Meharee (Reisen mit Kamelen) ist eine Form des Geldverdienens, welche den Tuareg entspricht“, erläutert Père Eduard. Selbst die doch etwas „modernere“ Beschäftigung als Fahrer steht in einem gewissen Bezug zum traditionellen Leben. Der Tourismus ermöglichte es einigen Tuareg auch, einen eigentlichen Wohlstand zu erarbeiten. Ein Beispiel ist der Tuareg Ahmid Abdelkader, der seit 30 Jahren im Tourismus tätig ist - allerdings nicht in Tamanrasset, sondern im touristisch ebenfalls interessanten Ort Djanet 450 Kilometer westlich von Tamanrasset - wenn man so will, die nächste grössere Stadt. Djanet besitzt 18 Agences und wurde in den vergangenen Jahren von 8'000 bis 10'000 Touristen jährlich besucht, so Ahmid, der auch der von der Regierung beauftragte Verantwortliche für den Tourismus der Region ist. Bis vor kurzem beschäftigte er 25 Personen. In der Stadt selbst leben nach seiner Schätzung zwei Drittel der Leute vom Tourismus.
Klimawandel lässt die Wüste ergrünen
Hoffnung für den Erhalt der Lebensweise der Tuareg kommt neuerdings von einer unerwarteten Richtung. Klimatologen haben im vergangenen Jahrzehnt eine erstaunliche Entwicklung in der südlichen Regionen der Sahara feststellen können. Satellitenbilder zeigen ein Vordringen der Vegetation. Nach Ansicht des internationalen Wissenschaftlerteams, das die Resultate im vergangenen Jahr vorgestellt hat, handelt es sich hier um ein grossflächiges Phänomen, das sich entlang des gesamten Südrandes der Sahara von Mauretanien bis Eritrea feststellen lässt. Offenbar wird Wüstenregion durch Savanne ersetzt, was den Nomaden neue Lebensgrundlagen bieten könnte. Als Grund für diese Entwicklung werden eine Zunahme der Niederschläge und eine verbesserte Wassernutzung genannt. Problematisch ist in diesem Zusammenhang der steigende Wasserbedarf städtischer Zentren wie Tamanrasset, wodurch die Vorteile steigender Niederschlagsmengen zumindest lokal zunichte gemacht werden.
Die Klima-Modellierer sehen für die Sahara eine vergleichsweise günstige Zukunft. Ein kürzlich vorgestelltes Klimamodell von Wissenschaftlern des Potsdam Instituts für Klimaforschung zeigt, dass der CO2-Anstieg in der Atmosphäre in diesen Regionen die Niederschläge erhöhen könnte. Durch die Zunahme der Vegetation kommt es zu einer positiven Rückkopplung und zu weiter steigenden Niederschlagsmengen. Die Modelle lassen den Schluss zu, dass ein verhältnismässig rascher, sich über nur wenige Jahrzehnte erstreckender Wandel möglich ist. Dies muss aber nicht gerade zu Verhältnissen wie vor rund 8000 Jahren führen, als die gesamte Sahara eher einer Savannenlandschaft glich. Immerhin sehen die Modellierer die Chance, dass knapp die Hälfte der jetzigen Fläche der Sahara sich in für Tuareg-Verhältnisse schon fast fruchtbare Landschaften verwandeln könnten.
Ein gutes Omen waren jedenfalls die schweren Regenfälle im vergangenen Oktober im Hoggar. Während zehn Tagen kam es zu lang andauernden Regenschauern, welche die trockenen Flusstäler überfluteten, die wenigen Pisten wegschwemmte und die Wüste in einer Weise erscheinen liessen, die der Reisende kaum kennt. Auch Père Eduard datiert die letzten derart schweren Niederschläge acht Jahre zurück - ins Jahr 1994. Die Niederschläge verursachen mit einigen Monaten Verzögerung einen Vegetationsschub. Die Ironie der momentanen Tourismus-Krise ist, dass die Steinwüste des Hoggar jetzt blüht - und nur die Tuareg-Nomaden werden sich daran erfreuen können.